Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
Kind mehr, okay? Also lassen Sie mich endlich in Ruhe, ja?«
Sie sprang ab, und Inspector Aaron stieg aus dem Wagen und half ihr, die Yamaha durch die Haustür in den Flur zu schieben. Als er wieder hinausging, knallte sie wortlos die Tür hinter ihm ins Schloß.
48
Daniel sagte: »Die hätte ruhig auch mal danke sagen können. Ist ja ’n zähes Luder, die Kleine.«
»Sie steht noch unter Schock.«
»Na, dafür hatte sie aber ’nen gesunden Appetit.«
Auf dem Revier in Wapping war alles ruhig, und auf dem Weg hinauf zur Einsatzzentrale begegneten sie nur einem einzigen Beamten. Ehe sie die Vorhänge zuzogen, blieben sie noch einen Moment am Fenster stehen. Die Wolkendecke war inzwischen aufgerissen, die Themse floß breit und behäbig dahin, und die Sterne warfen gleißende Lichtspiralen in die Fluten. Nachts herrschte immer ein unnatürliches Gefühl von Abgeschiedenheit und Frieden auf so einem Revier. Selbst wenn es einmal hektisch zuging und die Stille kurzfristig von lauten Männerstimmen und schweren Schritten unterbrochen wurde, blieb die Atmosphäre insgesamt doch sonderbar ruhig, als ob die Welt da draußen zwar mit Gewalt und Terror auf der Lauer liegen mochte, aber doch nicht die Macht hatte, diesen tiefen Frieden ernsthaft zu stören. Auch die Kameradschaft wuchs in diesen Stunden; man sprach zwar weniger, aber wenn, dann freier als bei Tage. Kate und Daniel konnten in Wapping allerdings nicht auf Kameradschaft zählen. Sie wußten, daß sie hier bis zu einem gewissen Grad Eindringlinge waren. Das Revier stellte ihnen Räumlichkeiten und alle notwendigen Einrichtungen zur Verfügung, aber sie blieben trotzdem Außenseiter.
Dalgliesh war den Tag über in geheimer Mission des Polizeipräsidenten bei den Kollegen in Durham gewesen, und Kate wußte nicht, ob er schon auf dem Rückweg nach London war. Also meldete sie auf gut Glück ein Gespräch an und erfuhr, daß er eigentlich noch in Durham sein müsse. Man wolle versuchen, ihn ausfindig zu machen, und ihm sagen, daß er sie zurückrufen solle. Als Kate aufgelegt hatte, fragte sie Daniel: »Warst du dir bei ihrem Alibi eigentlich sicher? Ich meine das von Esme Carling. War sie wirklich zu Hause an dem Abend, als Etienne starb?«
Daniel saß an seinem Schreibtisch und spielte am Computer herum. Er versuchte Zeit zu gewinnen, um sich die Gereiztheit, die bei ihrer Frage in ihm hochgestiegen war, nicht anmerken zu lassen. »Ja, ich bin mir sicher. Du hast doch meinen Bericht gelesen. Sie war mit diesem Mädchen zusammen, einer gewissen Daisy Reed, die in derselben Anlage wohnt. Die beiden waren den ganzen Abend zusammen, bis Mitternacht oder noch später. Die Kleine hat das bestätigt. Ich hab’ mich nicht an der Nase rumführen lassen, wenn du das meinst.«
»Aber nein! Reg dich doch nicht gleich so auf, Daniel. Mir fiel nur gerade ein, daß die Carling ja eigentlich nie direkt zum Kreis der Verdächtigen gehörte. Der verstopfte Abzug, die durchgescheuerte Zugschnur – das mußte alles von langer Hand geplant werden. Und da sie wohl kaum Gelegenheit hatte, so oft unbeobachtet ins Archiv zu kommen, haben wir in ihr nie die mögliche Täterin gesehen.«
»Mit anderen Worten, du meinst, ich hätte mich zu schnell zufriedengegeben?«
»Nein, nein! Ich wollte mich nur noch mal vergewissern, daß du auch wirklich zufrieden warst mit ihrer Aussage.«
»Hör zu, ich bin mit Robbins und einer Polizistin vom Jugendschutz dort gewesen. Ich hab’ Esme Carling und die Kleine getrennt vernommen. Die beiden waren den Abend über zusammen, wie übrigens die meisten Abende. Die Mutter ging ihrer sogenannten Arbeit nach – als Stripperin, Bardame, gelegentlich wohl auch schon mal als Nutte –, und die Kleine paßte den Moment ab, wenn sie die Wohnung verlassen hatte, um sich dann heimlich runter zur Carling zu schleichen. Anscheinend hatten sie beide was von diesem Arrangement. Ich hab’ jede Kleinigkeit, die diesen Donnerstagabend betraf, abgecheckt, und ihre Aussagen stimmten voll überein. Die Kleine wollte erst gar nicht zugeben, daß sie bei der Carling gewesen war. Sie hatte offenbar Angst, daß ihre Mutter dem Ganzen einen Riegel vorschieben würde oder daß das Jugendamt sich mit der Fürsorge in Verbindung setzen und sie im Heim landen könnte. Das haben die natürlich auch gemacht – die Fürsorge eingeschaltet, meine ich. Blieb ihnen ja auch kaum was anderes übrig, unter den Umständen. Aber die Kleine hat schon die Wahrheit gesagt. Woher
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