Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
trotzdem mit Nebensächlichkeiten immer noch so genau nehmen konnte.
Hinter den kleinen Seitenfenstern von Nummer 12 regte sich nichts. Den Blick auf die dunklen Scheiben gerichtet, drückte er Dauntseys Klingel. Keine Reaktion. Vielleicht war er ja bei Frances Peverell. Daniel lief die Gasse entlang zum Innocent Walk, und es war eher Zufall, daß er an der Ecke einen Blick nach links warf und gerade noch sah, wie Dauntseys cremefarbener Rover vor der Garage zurücksetzte. Instinktiv rannte er los, begriff aber gleich, daß es keinen Sinn hatte, hinter dem Wagen herzurufen.
Über die Motorengeräusche und das Quietschen der Räder auf dem Kopfsteinpflaster hinweg würde Dauntsey ihn unmöglich hören können.
Daniel stürzte zurück zur Innocent Lane, wo sein Golf GTI stand, und nahm die Verfolgung auf. Er mußte Dauntsey unbedingt heute abend noch sprechen. Morgen war es vielleicht schon zu spät. Dauntsey hatte zwar nur eine halbe Minute Vorsprung, aber die konnte den Ausschlag geben, vorausgesetzt, er hatte oben an der Garnet Road, bei der Auffahrt zu The Highway, freie Fahrt. Doch Daniel hatte Glück. Er schaffte es gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, daß der Rover nach rechts abbog, also ostwärts in die Essexer Vororte fuhr und nicht Richtung Innenstadt.
Auf den nächsten paar Kilometern gelang es ihm, Dauntseys Wagen fast immer im Blickfeld zu behalten. Es herrschte immer noch dichter Feierabendverkehr, die glänzende, zähe Blechlawine vor und neben ihm schob sich nur schwerfällig voran, und selbst mit geschicktem Kolonnenspringen und einer eher egoistischen als vorschriftsmäßigen Fahrweise kam man nur sehr langsam voran. Von Zeit zu Zeit verlor er den Rover auch aus den Augen, aber wenn der Verkehr wieder etwas überschaubarer wurde, konnte er jedesmal erleichtert feststellen, daß sie immer noch auf derselben Straße waren. Und inzwischen ahnte Daniel auch, wo Dauntsey hinwollte. Mit jeder Meile wurde seine Vermutung mehr zur Gewißheit, und als sie sich endlich der A 12 näherten, gab es für ihn keinen Zweifel mehr. Und nun konzentrierten sich seine Gedanken an jeder Ampel, bei jedem Halt und auf jedem Stück freier Fahrbahn auf die beiden Morde, die ihn zu dieser Verfolgungsjagd, zu dieser jähen Lösung des Falles geführt hatten.
Er sah jetzt den ganzen brillanten Plan in seiner bestechenden Einfachheit vor sich. Der Mord an Etienne war als Unfall inszeniert und wochen-, ja wahrscheinlich sogar monatelang in allen Einzelheiten geplant worden. Geduldig hatte der Täter den idealen Zeitpunkt abgewartet. Die Polizei hatte Dauntsey natürlich von Anfang an in Verdacht gehabt. Niemand konnte ja so leicht und ungestört wie er im kleinen Archiv seine Vorbereitungen treffen. Vermutlich hatte er die Tür abgeschlossen, während er den Gasofen auseinandernahm, die Schlacke aus der Kaminauskleidung losklopfte und den Ofen dann, als der Abzug wunschgemäß blockiert war, wieder zusammensetzte. Die Zugschnur am Oberlicht hatte er wohl in wochenlanger Kleinarbeit aufgerauht und beschädigt. Und er hatte den günstigsten Abend für den Mord gewählt, einen Donnerstag, an dem Etienne, wie allgemein bekannt, länger arbeitete und in der Regel allein im Verlag war. Um halb acht hatte er zuschlagen wollen, unmittelbar vor seinem Aufbruch ins Connaught Arms. War der Termin der Dichterlesung eigentlich zufällig, durch einen glücklichen Umstand mit dem Mordtag zusammengefallen? Oder hatte Dauntsey sich den Abend gerade wegen dieser Veranstaltung ausgesucht? Es wäre sicher ein leichtes gewesen, eine andere Verabredung zu arrangieren, und Dauntseys überraschende Teilnahme an der Lesung hatte AD und sein Team sogar von Anfang an stutzig gemacht. Denn außer Dauntsey war kein bekannter Lyriker unter den Vortragenden gewesen, und literarisch war der Abend wohl kaum von Bedeutung. Dauntsey hatte vermutlich den geeigneten Moment abgepaßt, war, sobald alle außer Etienne den Verlag verlassen hatten, unbemerkt nach Innocent House zurückgekehrt und hatte sich leise ins kleine Archiv hinaufgeschlichen. Doch selbst wenn Etienne unverhofft aus seinem Büro gekommen wäre und ihn gesehen hätte, wäre er wohl nicht mißtrauisch geworden. Warum auch? Dauntsey hatte einen Hausschlüssel, er war Mitgesellschafter und konnte kommen und gehen, wie es ihm beliebte. Etienne hätte einfach angenommen, er ginge hinauf in sein Büro im dritten Stock, um noch ein paar wichtige Unterlagen für die Lesung im Connaught Arms zu
Weitere Kostenlose Bücher