Adam Dalgliesh 09: Wer sein Haus auf Sünden baut
hohen Fenstern und weitläufigen Räumen, mächtigen Eichensparren und (was sicher dazugehörte) dem immer noch spürbaren Duft exotischer Gewürze. Aber dieser Traum hätte trotz sinkender Immobilienpreise ihre Mittel weit überstiegen. Und die Wohnung, für die sie sich nun nach gründlicher Suche entschieden hatte, war keine schlechte zweite Wahl. Sie hatte die höchstmögliche Hypothek aufgenommen, denn sie war davon überzeugt, daß es sich langfristig auch finanziell auszahlen würde, das Beste zu kaufen, was sie sich leisten konnte. Sie hatte einen großen Wohnraum, etwa dreieinhalb auf fünfeinhalb Meter, und zwei kleinere Schlafzimmer, eines davon mit separater Dusche. Die Küche war groß genug für einen Eßplatz und mit allem Komfort ausgestattet. Der südwestseitige Balkon, der über die ganze Länge des Wohnzimmers verlief, war schmal, aber doch breit genug für einen kleinen Tisch und ein paar Stühle. Im Sommer würde sie also draußen essen können. Und sie war froh, daß sie bei den Möbeln für ihre erste Wohnung nicht gespart hatte. Das Sofa und die beiden Sessel aus echtem Leder würden sich in diesem modernen Rahmen sehr gut machen. Ein Glück, daß sie statt schwarz lieber beige genommen hatte. Schwarz hätte doch zu geschniegelt ausgesehen. Und der schlichte Tisch nebst den Stühlen aus Rüster paßte auch sehr gut hinein.
Außerdem hatte sie noch das Glück gehabt, eine Eckwohnung zu erwischen, mit Fenstern nach zwei Seiten sowie zwei Balkone. Vom Schlafzimmer aus konnte Kate das glitzernde Panorama der Canary Wharf sehen, den TV-Turm wie ein riesiger Bleistift mit lichtgekrönter Spitze, das mächtige weiße Halbrund des angrenzenden Gebäudes, die stille Wasserfläche der ehemaligen West India Docks und die Hochbahn, die Docklands Light Railway, deren Züge von hier drüben aussahen wie aufziehbare Spielzeugwagen. Dieses gigantische neue Zentrum aus Glas und Beton, das zum Teil noch in der Planungsphase war, würde erst richtig zum Leben erwachen, wenn alle Firmen eingezogen waren. Dann würde sie hinunterschauen können auf ein pralles Schauspiel, auf den bunt schillernden, stetig wechselnden Ameisenzug von einer halben Million Menschen, Männer und Frauen, die geschäftig ihrer Arbeit nachgingen. Der andere, nach Südwesten gelegene Balkon überblickte die Themse und den wie eh und je gemächlich dahingleitenden Verkehr auf dem Fluß: Fähren, Vergnügungsdampfer, die Boote der Wasserschutzpolizei und der Londoner Hafenbehörde, die großen Kreuzer, die stromauf fuhren, um an der Tower Bridge anzulegen. Kate liebte Kontraste, hatte sie immer schon reizvoll gefunden, und hier in der Wohnung konnte sie nach Belieben von einer Welt zur anderen wechseln, von der neuen in die alte, vom stehenden Wasser zum Gezeitenfluß, den T. S. Eliot angerufen hatte als den mächtigen braunen Gott.
Dadurch, daß sie eine Türsprechanlage am Haupteingang und zwei Sicherheitsschlösser nebst -kette an ihrer Eingangstür hatte, war die Wohnung für eine Polizeibeamtin besonders geeignet. Eine Tiefgarage war ebenfalls vorhanden, zu der die Bewohner einen eigenen Schlüssel besaßen. Auch das war wichtig für sie. Und die Fahrt nach New Scotland Yard würde wohl nicht zu kompliziert werden; immerhin wohnte sie ja auf der richtigen Seite des Flusses. Vielleicht würde sie allerdings manchmal die Fähre zum Westminster Pier nehmen, um den Fluß besser kennenzulernen, Teil seines Lebens und seiner Geschichte zu werden. Morgens würde sie vom Kreischen der Möwen erwachen und auf den Balkon hinaustreten, in diese kühle, weiße Weite. Als sie jetzt gleichsam zwischen dem glitzernden Wasser und dem zartblauen Himmel stand, überkam sie ein ganz außerordentliches Gefühl, das sie früher schon manchmal empfunden hatte und das ihrer Meinung nach die stärkste Annäherung an eine religiöse Erfahrung sein mußte, deren sie fähig war. Jedenfalls spürte sie ein schier übermächtiges, ja fast körperliches Verlangen zu beten, zu preisen, zu danken (ohne daß sie gewußt hätte, wem) und vor Freude zu jauchzen, eine Freude, die inniger war als die über das eigene körperliche Wohlbefinden oder ihre Leistungen, ja selbst über die Schönheit der erfaßbaren Welt.
Sie hatte ihre eingebauten Bücherschränke in der alten Wohnung gelassen, aber die Wand gegenüber dem Fenster war ganz mit neuen, eigens nach Kates Angaben gefertigten Regalen bestückt, und in die räumte Alan Scully, der neben einer Umzugskiste kniete,
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