Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
abgeschlossen.
Darüber befand sich ein Regalbrett mit Ordnern. Auf der anderen Seite
des Raums stand ein bequemes Sofa mit Kissen, gegenüber dem Fernseher
ein Sessel mit Fußbank und rechts von dem schwarzen viktorianischen
Kaminrost ein Lehnstuhl. Die Stereoanlage war modern, aber
unaufdringlich. Links vom Fenster war ein kleiner Kühlschrank, auf dem
sich ein Tablett mit einem elektrischen Perkolator, einer Kaffeemühle
und einem einzelnen Becher befand. Da es lediglich ein Stockwerk
darunter im Badezimmer einen Wasserhahn gab, konnte sie sich Kaffee
zubereiten, ohne die drei Treppen in die Küche hinuntergehen zu müssen.
In diesem Haus lebte es sich nicht einfach, aber auch er hätte sich
hier wohl fühlen können. Dalgliesh und Kate gingen in dem Zimmer herum,
ohne zu sprechen. Er entdeckte, dass das Fenster nach Osten auf einen
kleinen schmiedeeisernen Balkon führte, mit einer Eisentreppe hinauf
auf das Dach. Er öffnete das Fenster, durch das die morgendliche Kühle
eindrang, und stieg nach oben. Kate folgte ihm nicht.
Seine eigene Wohnung, die hoch oben über der Themse in
Queenhithe lag, war von hier aus zu Fuß zu erreichen, und er wandte den
Blick zum Fluss hin. Selbst wenn er Zeit oder etwas dort zu erledigen
gehabt hätte, er wusste, Emma würde er dort nicht antreffen. Sie besaß
zwar einen Schlüssel, aber auch wenn sie in London war, betrat sie die
Wohnung nur, wenn er zu Hause war. Ihm war klar, dass der Grund dafür
in Emmas unausgesprochener Distanzierung von seiner Arbeit lag, auf die
sie sorgfältig achtete, in ihrem Wunsch, der beinahe zu einer Obsession
wurde, nicht in seine Privatsphäre einzudringen, eine Privatsphäre, die
sie respektierte, weil sie sie verstand und ebenfalls brauchte. Ein
Lebenspartner war keine Anschaffung oder Trophäe, die man besitzen
musste. Es gab immer einen Teil der Persönlichkeit, der unberührt
blieb. Als sie frisch verliebt waren, schlief Emma nachts in seinen
Armen ein. Wenn er sich dann in den frühen Morgenstunden rührte und den
Arm nach ihr ausstreckte, wusste er, dass sie nicht mehr da sein würde.
Die erste Tasse Tee des Tages brachte er ihr dann ins Gästezimmer. Das
kam jedoch mittlerweile nicht mehr so häufig vor. Zuerst hatte ihm
diese Trennung Sorgen bereitet. Da er Hemmungen verspürte, sie darauf
anzusprechen, zum Teil auch, weil er sich vor der Antwort fürchtete,
hatte er seine eigenen Schlussfolgerungen gezogen. Er sprach nicht
offen über seinen Berufsalltag, wollte es vielleicht auch nicht, und so
musste sie ihren Geliebten vom Detective trennen. Sie konnten über
Emmas Arbeit in Cambridge reden, und das taten sie auch häufig;
manchmal gab es sogar engagierte Diskussionen, weil sie die
Leidenschaft für Literatur teilten. Sein Beruf bot keine gemeinsame
Grundlage. Emma war weder ein Dummkopf noch übersensibel, und ihr war
die Wichtigkeit seiner Arbeit bewusst, doch Dalgliesh hatte erkannt,
dass sein Beruf trotzdem zwischen ihnen lag wie unerforschtes,
gefährlich vermintes Buschland.
Er hatte weniger als eine Minute auf dem Dach zugebracht. Von
diesem hochgelegenen, abgeschiedenen Ort aus hatte Rhoda Gradwyn
sicherlich beobachtet, wie die Morgendämmerung die Spitzen und Türme
der Stadt berührte und sie mit Licht bemalte. Er kletterte wieder
hinunter und ging zu Kate.
»Am besten, wir fangen mit den Ordnern an«, sagte er.
Sie setzten sich nebeneinander an den Schreibtisch. Alle
Ordner waren sorgfältig beschriftet. Derjenige mit der Aufschrift
›Sanctuary Court‹ enthielt ihr Exemplar des komplizierten
Pachtvertrags – bei dem die restliche Laufzeit noch
siebenundsechzig Jahre betrug, wie er sah –, die Korrespondenz
mit ihrem Anwalt, Einzelheiten und Angebote bezüglich Renovierung und
Unterhalt. Ihre Agentin und ihr Anwalt hatten beide mit Namen
beschriftete Ordner. In einem anderen, der mit ›Finanzen‹ betitelt war,
befanden sich ihre Bankauszüge und regelmäßige Berichte über ihre
Investitionen von ihren Privatbanken.
Dalgliesh sah sie durch und stellte überrascht fest, wie gut
Rhoda Gradwyn finanziell gestellt war. Ihr Vermögen belief sich auf
beinahe zwei Millionen Pfund, und der Wertpapierbestand war klar
zwischen Aktienkapital und Staatspapieren aufgeteilt.
»Eigentlich würde man annehmen, dass sie solche Auszüge in
einer von den abgeschlossenen Schubladen aufbewahrt«, sagte Kate. »Sie
scheint sich keine Sorgen darüber gemacht zu haben, dass ein
Eindringling herausfinden könnte, wie hoch ihr Vermögen
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