Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
einen Augenblick lang in einem
ruhigen, beinahe überirdischen Gleichklang aus Licht, Form und Farben,
der ihm ans Herz ging. Am Ende ihres Besuchs drehte er sich noch einmal
zu dem Haus um und sagte: »Das will ich kaufen.«
»Ja, George, eines Tages vielleicht.«
»Aber die Leute verkaufen Häuser nicht einfach so. Ich würde
es nicht tun.«
»Die meisten nicht. Es sei denn, sie müssen.«
»Aus welchem Grund, Großvater?«
»Weil ihnen das Geld ausgeht, sie den Unterhalt nicht mehr
zahlen können. Oder der Erbe scheffelt Millionen in der Stadt und hat
kein Interesse an so einem alten Kasten. Oder er ist im Krieg gefallen.
Die Klasse der Gutsbesitzer neigt dazu, im Krieg zu fallen. Manch einer
verliert seinen Besitz auch durch Leichtsinn – Frauen,
Glücksspiel, Alkohol, Drogen, Spekulation, Verschwendungssucht. Es gibt
viele Gründe.«
Am Ende verdankte George das Haus dem Unglück des
Vorbesitzers. Sir Nicholas Cressett verlor durch das Fiasko bei Lloyd's
im Jahre 1990 sein gesamtes Vermögen. George erfuhr zufällig davon,
dass das Haus auf dem Markt war, als er einen Artikel in einem
Finanzblatt las, in dem die Hauptgeschädigten der Lloyd's-Geschichte
aufgezählt wurden. Der Name Cressett stach ihm ins Auge. Er erinnerte
sich nicht, wer den Artikel geschrieben hatte – nur dass es
eine Frau war, die sich einen Namen als investigative Journalistin
gemacht hatte. In dem wenig freundlichen Artikel war mehr von Habgier
und Dummheit als von unglücklichen Umständen die Rede gewesen. Er hatte
schnell gehandelt und das Manor gekauft, nach harten Verhandlungen und
mit genauen Vorstellungen, welche Besitztümer in dem Paket enthalten
sein sollten. Die besten Gemälde waren in eine Auktion gegeben worden,
aber auf die hatte er auch keinen so großen Wert gelegt. Ihm ging es um
die Einrichtungsgegenstände, die ihm bereits damals bei seinem Besuch
als Junge aufgefallen waren, vor allem einen Queen-Anne-Ohrensessel.
Damals war er eine Sekunde vor seinem Großvater in den Speisesaal
getreten und hatte den Sessel dort stehen sehen. Als er sich
hineinsetzte, kam ein Mädchen, ein einfaches, ernsthaftes Kind, sicher
nicht älter als sechs, in Reithosen und einer Bluse mit offenem Kragen
auf ihn zu und schnauzte ihn an: »In dem Sessel darfst du nicht sitzen.«
»Dann hättet ihr eine Kordel aufstellen müssen.«
»Da gehört auch eine Kordel hin. Eigentlich steht da immer
eine.«
»Jetzt jedenfalls nicht.« Nachdem sie sich ein paar Sekunden
lang feindselig angestarrt hatten, war George aufgestanden.
Wortlos und mit verblüffender Leichtigkeit hatte sie den
schweren Sessel hinter die weiße Kordel geschoben, die den Essbereich
von dem schmalen, Besuchern zugänglichen Streifen trennte, sich
entschlossen mit baumelnden Beinen hineingesetzt und ihm fest in die
Augen geblickt, als wartete sie auf seinen Protest. »Wie heißt du?«,
wollte sie von ihm wissen.
»George. Und du?«
»Helena. Ich wohne hier. Und du darfst über keine weiße Kordel
steigen.«
»Bin ich ja auch nicht. Der Sessel stand auf meiner Seite.«
Die Begegnung war zu unerfreulich, um sie in die Länge zu
ziehen, und das Mädchen war zu klein und zu schlicht, um sein Interesse
zu wecken. Er zuckte mit den Schultern und ging.
Und jetzt stand der Sessel in seinem Arbeitszimmer, und Helena
Haverland, geborene Cressett, war seine Verwalterin. Falls sie sich an
diese erste kindliche Begegnung erinnerte, hatte sie das bis jetzt für
sich behalten, genau wie er. Er hatte für den Erwerb des Manor alles
von seinem Großvater geerbte Geld aufwenden müssen und den Westflügel
in eine Privatklinik umbauen lassen, um den Unterhalt des Anwesens
finanzieren zu können. Von Montag bis Mittwoch operierte er seine
Kassenpatienten und die Londoner Privatpatienten im St. Angela's, und
mittwochabends fuhr er nach Stoke Cheverell zurück. Die Umbauarbeiten
des Flügels waren äußerst behutsam ausgeführt worden, mit nur minimalen
Veränderungen. Der Westflügel war im achtzehnten Jahrhundert
vollständig neu aufgebaut worden und hatte im zwanzigsten noch eine
Restaurierung erfahren, alle anderen, noch originalen Teile des Manor
waren von den Umbauarbeiten nicht berührt worden. Das Personal für die
Klinik zu finden war kein Problem gewesen. Er wusste, wen er wollte,
und war darauf eingestellt, übertariflich zu bezahlen, um die Leute zu
bekommen. Mühseliger war es, Hauspersonal für das Manor zu finden. Die
Monate des Wartens auf die Umbaugenehmigung und die
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