Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
nichts wird, freuen sich Clara und
Annie, wenn ich übers Wochenende bleibe. Ich werde sie anrufen.«
Clara war Emmas beste Freundin, und Dalgliesh verstand, was
sie an ihr schätzte: Ehrlichkeit, Intelligenz und einen gesunden
Dickkopf. Nachdem er Clara besser kennengelernt hatte, kamen sie gut
miteinander aus, auch wenn es in der ersten Zeit seiner Verliebtheit in
Emma eine komplizierte Beziehung gewesen war. Clara hatte keinen
Zweifel daran gelassen, dass sie ihn zu alt fand, zu sehr in Anspruch
genommen von seiner Arbeit und seiner Dichtung, um sich ernsthaft um
eine Frau kümmern zu können, schon gar um eine wie Emma. Dem letzten
Einwand musste Dalgliesh zustimmen, ein Selbstvorwurf, der nicht
leichter fiel, wenn er einem von jemand anderem, ausgerechnet von
Clara, in den Mund gelegt wurde. Emma sollte wegen ihrer Liebe zu ihm
auf nichts verzichten.
Clara und Emma kannten sich seit der Schulzeit, waren später
im selben Jahr auf dasselbe College in Cambridge gegangen, und hatten
sich, auch wenn ihre Wege sich danach getrennt hatten, nie aus den
Augen verloren. Von außen betrachtet war es eine erstaunliche
Freundschaft, eigentlich nur mit der Regel zu erklären, dass Gegensätze
sich anziehen. Emma, heterosexuell, von einer beunruhigenden,
anrührenden Schönheit, die, wie Dalgliesh wusste, eher eine Belastung
sein konnte als ungebrochenes Glück, um das einen alle beneideten;
Clara, klein, mit einem runden, fröhlichen Gesicht, leuchtenden Augen
hinter großen Brillengläsern und dem plumpen Gang eines Pflügers. Dass
manche Männer sie attraktiv fanden, war für Dalgliesh eine weitere
Facette des Mysteriums sexueller Anziehung. Manchmal fragte er sich, ob
Eifersucht oder Kummer Clara ihre anfängliche Reaktion auf ihn diktiert
hatte. Beides erschien ihm unwahrscheinlich. Clara war offensichtlich
glücklich mit ihrer Partnerin, der zerbrechlichen Annie mit dem zarten
Gesicht, die – zumindest vermutete Dalgliesh das –
zäher war, als es den Eindruck machte. Annie hatte aus ihrer
gemeinsamen Wohnung in Putney ein Domizil gemacht, das
niemand – in Jane Austens Worten – ohne eine
unerschütterliche Glückserwartung betrat. Nach einem Studienabschluss
mit Auszeichnung in Mathematik hatte Clara eine Stelle in der City
angetreten und sich zu einem höchst erfolgreichen Fondsmanager
entwickelt. Kollegen waren gekommen und gegangen, Clara durfte bleiben.
Von Emma wusste er, dass sie ihren Job in drei Jahren aufgeben wollte,
wenn sie und Annie genug Geld für ein ganz und gar anderes Leben auf
die Seite geschafft haben würden. Bis dahin würde wohl noch ein großer
Teil ihres Einkommens für – nach Annies Verständnis –
gute Zwecke ausgegeben werden.
Drei Monate war es her, dass Emma und er an der Feier zur
amtlichen Eintragung von Claras und Annies Lebenspartnerschaft
eingeladen waren, einer stillen, schönen Zeremonie, an der nur Claras
Eltern, Annies verwitweter Vater und ein paar enge Freunde teilgenommen
hatten. Im Anschluss daran hatte Annie in der Wohnung ein Essen für
alle gekocht. Nach dem zweiten Gang trugen Clara und Dalgliesh zusammen
die Teller in die Küche, um den Pudding zu holen. Die Entschlossenheit,
mit der sie draußen auf ihn einredete, legte ihm die Vermutung nahe,
dass sie auf eine solche Gelegenheit gewartet hatte.
»Kommt es dir nicht pervers vor, dass wir den Bund fürs Leben
schließen, wenn ihr Heteros in Scharen zum Scheidungsanwalt rennt oder
ohne staatlichen Segen zusammenlebt? Wir waren auch ohne ihn glücklich,
aber wir mussten endlich dafür sorgen, dass eine die nächste Angehörige
der anderen ist. Wenn Annie mal ins Krankenhaus kommt, muss ich für sie
da sein können. Und das Vermögen ist ja auch noch da. Wenn ich zuerst
sterbe, soll Annie keine Steuern zahlen müssen. Wahrscheinlich wird sie
den Löwenanteil mit ihren kranken Hühnern durchbringen, aber das ist
dann ihre Sache. Immerhin ist es nicht verschwendet. Annie ist verdammt
klug. Die Leute glauben, dass unsere Partnerschaft funktioniert, weil
ich die Stärkere bin und Annie mich braucht. Dabei ist genau das
Gegenteil richtig, und du gehörst zu den wenigen Menschen, die das
gleich erkannt haben. Danke, dass du heute bei uns bist.«
Dalgliesh hatte gewusst, dass diese letzten, etwas barsch
klingenden Worte Ausdruck einer großen und – einmal
ausgesprochen – in Stein gemeißelten Wertschätzung waren. Er
war froh, dass er sich, bei den vielen unbekannten Gesichtern,
Problemen,
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