Adam Dalgliesh 14: Ein makelloser Tod
Haus
besitze ich nicht, nicht einmal auf der uneleganten Seite des Belgrave
Square.«
»Dann würde ich vorschlagen, dass Sie sich eins zulegen. Von
einem Mädchen mit einfachem, unverdorbenem Gemüt wie Emma kann man kaum
verlangen, in einer Wohnung in Queenhithe zu leben, mit Blick auf die
Themse, auch nicht bei einem Mietvertrag über mehr als hundert Jahre.«
»Ich liebe diese Wohnung, Papa«, warf Emma ein. Ihre Bemerkung
wurde ignoriert.
Offenbar war der Professor zu der Ansicht gelangt, dass die
Anstrengung, seine Sticheleien fortzusetzen, nicht im rechten
Verhältnis zu dem Vergnügen stand, das sie ihm brachten. Er sagte:
»Gut, das klingt zufriedenstellend. Und jetzt verlangt es ja wohl der
Brauch, dass ich euch etwas zu trinken anbiete. Ich persönlich mag ja
keinen Champagner, und Weißwein bekommt mir nicht, aber auf dem
Küchentisch steht eine Flasche Burgunder. Zwanzig vor elf am Vormittag
ist vielleicht nicht der ideale Zeitpunkt für ein Besäufnis, deshalb
schlage ich vor, ihr nehmt sie mit nach Hause. Ihr werdet kaum
vorgehabt haben, länger zu bleiben. Sonst« – fügte er
hoffnungsvoll hinzu – »könnte ich euch einen Kaffee anbieten.
Mrs. Sawyer hat gesagt, sie hätte alles bereitgestellt.«
Emma entschied: »Wir nehmen gerne den Wein, Papa.«
»Also, dann geht ihn euch holen.«
Sie gingen zusammen in die Küche. Es wäre unhöflich gewesen,
die Tür zu schließen, deshalb mussten sie sich verkneifen, in lautes
Lachen auszubrechen. Bei dem Wein handelte es sich um eine Flasche Clos
de Bèze.
»Ein vorzüglicher Tropfen«, sagte Dalgliesh.
»Weil du ihm gefallen hast. Würde mich interessieren, ob er
für den gegenteiligen Fall eine Flasche Plörre im Schreibtisch
bereitgestellt hat. Zuzutrauen wäre es ihm.«
Sie kehrten in die Bibliothek zurück, Dalgliesh trug die
Flasche. »Vielen Dank, Sir«, sagte er. »Den heben wir für eine ganz
besondere Gelegenheit auf, zum Beispiel für Ihren Besuch bei uns, falls
Sie es einrichten können.«
»Mal sehen, mal sehen. Ich esse nicht oft auswärts, höchstens
mal im College. Wenn das Wetter besser wird, vielleicht. Die Sawyers
sehen es nicht gern, wenn ich in kalten Nächten draußen herumlaufe.«
Emma sagte: »Wir hoffen, du kommst zur Hochzeit, Papa. Wir
heiraten im Frühling, wahrscheinlich im Mai, in der Kapelle des
College. Wenn wir das genaue Datum wissen, gebe ich dir Bescheid.«
»Und ob ich komme, wenn ich mich gut genug fühle. Das sehe ich
als meine Pflicht an. Ich weiß aus dem Book of Common Prayer –
nicht gerade meine Leib- und Magenlektüre –, dass mir eine
nonverbale und nicht exakt definierte Rolle bei der Prozedur bestimmt
ist. Das war zumindest bei meinem eigenen Schwiegervater so, bei
unserer Hochzeit, die ebenfalls in der College-Kapelle stattfand. Er
hat deine gute Mutter durch den Mittelgang getrieben, als hätte er
Angst, ich könnte meine Meinung noch ändern, wenn sie mich zu lange
warten ließen. Sollte meine Teilnahme erwünscht sein, will ich es
besser machen, aber vielleicht verzichtet ihr ja auch auf den Brauch,
die Tochter in aller Form einem anderen Mann anzuvertrauen. Commander,
ich weiß, dass die Zeit Ihnen unter den Nägeln brennt. Mrs. Sawyer will
heute Vormittag noch mal vorbeikommen und mir ein paar Sachen bringen.
Sie wird untröstlich sein, Sie verpasst zu haben.«
An der Tür trat Emma vor ihren Vater und küsste ihn auf beide
Wangen. Plötzlich nahm er sie in die Arme, und Dalgliesh sah die
Knöchel an seiner Hand weiß werden. Der Griff war so fest, dass es
aussah, als brauchte er Halt. In dem Augenblick, als sie sich umarmten,
klingelte Dalglieshs Mobiltelefon. Nie zuvor war ihm der tiefe,
unverwechselbare Rufton so unpassend vorgekommen.
Emma aus der Umklammerung freigebend, sagte ihr Vater
verärgert: »Ich hege einen abgrundtiefen Abscheu gegen Mobiltelefone.
Hätten Sie das Ding nicht ausschalten können?«
»Dieses hier nicht, Sir. Wenn Sie mich kurz entschuldigen
wollen.«
Er ging auf die Küche zu. »Machen Sie die Tür diesmal zu«,
rief der Professor ihm nach. »Wie Sie vielleicht bemerkt haben,
funktioniert mein Gehör noch ausgezeichnet.«
Geoffrey Harkness, Stellvertretender
Präsident der Metropolitan Police, war darauf geeicht, Informationen in
knappen Worten wiederzugeben, die darauf zielten, Fragen und
Diskussionen zu unterdrücken. Sechs Monate vor seiner Pensionierung
musste er auf erprobte Strategien zurückgreifen, um seine Karriere in
ruhigem Fahrwasser, ohne
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