Adelshochzeit 2
erfrischende Reinigung von Händen und Gesicht. Emily schickte das Mädchen fort, das ihr unbedingt das Haar frisieren und ihr zerdrücktes Kleid bügeln wollte, denn ihr lag nun gar nichts daran, sich für den abstoßenden Lüstling herrichten zu lassen, der unten auf sie wartete. Außerdem wollte sie in Abwesenheit des Mädchens nach Fluchtmöglichkeiten Ausschau halten. Leider ergab eine hastige Untersuchung des Raumes, dass durch die Fenster ein Entkommen unmöglich und die Tür von außen abgeschlossen war. Die letztere Entdeckung beschleunigte ihren Pulsschlag beängstigend, und heiße Tränen stiegen ihr in die Augen, weil sie sich plötzlich so schrecklich verlassen fühlte.
Von dem Augenblick an, als Riley sie mit dem Viscount alleingelassen hatte, war ihre Hoffnung nicht geschwunden, irgendwie einen Ausweg zu finden. Doch anscheinend hatte Nicholas seine Bediensteten gut geschult. Sowohl der Lakai als auch das Zimmermädchen wirkten daran mit, sie hier gefangen zu halten.
Als das Mädchen nach einer Weile zurückkam, hatte Emily sich so weit gefasst, um nicht weinend um Freilassung zu flehen, was ihr erster Impuls gewesen war. Stattdessen erlaubte sie der Bediensteten, ihr die blonden Locken zu entwirren und zu einem schlichten Nackenknoten aufzustecken. Ihr Stolz verbot es ihr, ihr Äußeres zu vernachlässigen. Womöglich glaubte Nicholas sonst, er hätte sie völlig eingeschüchtert! Obwohl sie sich entsetzlich schwach fühlte, wollte sie nicht zitternd und winselnd vor ihm erscheinen. Und ganz gewiss würde sie sich ihm nicht freiwillig ergeben. Sie hatte einmal geglaubt, er schätze sie hoch, und hatte sich ihm geschenkt zum Beweis dafür, dass sie ihm vertraute. Nun jedoch würde sie sich bis zum letzten Atemzug gegen ihn wehren, ehe sie ihm auch nur einen Kuss gestattete.
Als sie dann dem Mädchen die breite, mit Teppichen belegte Treppe hinab folgte, hatte sie kein Auge für die exquisite Ausstattung des Hauses, sondern sprach nur ein stummes Danke, weil ihre Eltern den heutigen Abend außer Haus verbrachten und wahrscheinlich zu spät aus der Oper zurückkamen, um die Abwesenheit ihrer Tochter zu bemerken. Noch war es früh genug; man könnte einen Skandal vermeiden. Aber sie musste so schnell wie möglich von hier fort und konnte nur beten, dass Mark noch rechtzeitig zu ihrer Rettung herbeieilte.
Während sie nun ihrem Gefängniswärter am Tisch gegenübersaß, schwor sie sich insgeheim, den Mut nicht zu verlieren. Mark musste inzwischen ihren Brief bekommen haben und unterwegs zum Callison Crescent sein. Wenn er sie dort nicht vorfand, würde er sich bestimmt Riley vornehmen und alles aus ihm herausbekommen.
Von diesen Überlegungen moralisch gestärkt, weigerte sie sich, auf die innere Stimme zu hören, die ihr diese süße Zuversicht nehmen wollte. Was, wenn Mark noch gar nicht wieder in sein Haus zurückgekehrt war? Immerhin führte er ein reges gesellschaftliches Leben.
Vor Schreck vergaß Emily ihre Vorsätze bezüglich Abstinenz und trank einen großen Schluck Wein, um ihr hämmerndes Herz zu beruhigen. Mit Anstrengung nur konnte sie die Panik unterdrücken, die ihr die Brust zusammenschnürte.
Unter ihren langen Wimpern hervor betrachtete sie prüfend den Mann auf der anderen Seite der Tafel. Sie würde versuchen, ihn in ein Gespräch zu verstricken. Vielleicht gelang es ihr ja, seine Annäherungen hinauszuzögern und an sein Gewissen zu appellieren.
„Du bist so nachdenklich, Liebste. Überlegst du dir einen Plan, mir zu entwischen?“ Nicholas musterte sie ungeniert und ließ seinen Blick dort haften, wo ihr heftiges Atmen den Stoff ihres Mieders zu sprengen drohte.
Emily wurde es ganz heiß. „Entwischen?“ Sie lachte gespielt amüsiert und winkte abwehrend mit der Hand. „Glaubst du, ich wollte ziellos in der kalten dunklen Nacht herumirren?“, sagte sie verächtlich; in Wahrheit jedoch wäre ihr Kälte und unbekannte Umgebung tausendmal lieber gewesen als seine Gegenwart. Lässig fuhr sie fort: „Gehört dieses Anwesen dir, oder hast du es nur gemietet – als Schauplatz für eine Verführung?“ Anerkennend schaute sie sich in dem elegant möblierten Raum um, stolz darauf, so ruhig zu erscheinen, obwohl sie innerlich zitterte wie Espenlaub. „Eine sehr schicke Bühne, muss ich sagen. Sollte ich mich geschmeichelt fühlen, dass du mich solch verschwenderischer Ausstattung für wert hältst?“
„Wie schön zu sehen, dass du immer noch meine stolze, unerschrockene
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