Adler und Engel (German Edition)
dass zwei feine weiße Sicheln am unteren Augenlid zu sehen sind und seine Brauen sich auf herzerweichende Art zusammenschieben. Als sie aufspringt, versetzt es ihm einen Kinnhaken, das geschieht ihm recht. Sie stellt einen Topf auf den Herd, ich verlasse die Küche. Die zunehmende Hitze erzeugt zwischen Topf und Platte eine Reihe kleiner Wasserexplosionen. Ich höre sie den Kühlschrank öffnen, und ich höre ihren kleinen freudigen Ausruf, als sie die Orangensaftflaschen findet. Sie ist aufgekratzt, das macht mich nervös.
Ich ziehe mich ins Wohnzimmer zurück, nehme den Recorder mit und meine Lieblingskassetten aus dem Regal. Ich werde mich in zwei riesengroße Ohren verwandeln, die an ihren schmalen Innenknorpeln miteinander verbunden sind und sich wie ein rosa Schmetterling auf der dunkelblauen Couch niederlassen. Ein Schmetterling, der zunehmend farbig erfüllt sein wird von meiner Stimme aus den schwarzen Kopfhörerknöpfen im Innern der Ohren. Von DEM schwarzen Kopfhörerknopf im Innern DES Ohrs. Nur der rechte Flügel wird bunt, der linke bleibt blassrosa.
Wir gingen essen, sagt meine Stimme vom Band, und Herbert ließ mich währenddessen die Strecke auswendig lernen. Während ich Städte und Autobahnkreuze herunterrasselte, blätterten die anderen die Speisekarte durch. Ross bestellte Weinbergschnecken als Vorspeise, und als Jessie das hörte, krampfte sie die Hände ins Tischtuch und zog es zu zwei großen Faltensternen zusammen, bis die Dekoration verrutschte, Besteck zu Boden fiel und die Gäste an den Nachbartischen zu uns herübersahen.
Wann, knirschte Ross, lernst du endlich, dich in der Öffentlichkeit zusammenzureißen?
Seine Adern traten hervor, als wären sie über der Haut verlegt, als würde sein Körper von einem grobmaschigen Netz aus dicken Schnüren zusammengehalten. Der Kellner rannte nach einem Wischlappen und frischem Besteck.
Alle Schnecken sind meine Freunde, wimmerte Jessie.
Herrgott, sagte Herbert zu Ross, dann nimm halt Shrimps.
Jessie zog das Tischtuch glatt, die anderen Gäste wandten sich wieder ihren Essen zu, der Kellner brachte Whiskey. Wien, A2, Klagenfurt, Tanken, Villach raus, Plöckenpass, Tolmezzo, A23, Ùdine, A4 Richtung Venedig, nicht Richtung Triest.
Clara kommt ins Zimmer, es sieht aus, als würde sie aufräumen. Mir fällt auf, dass sie beim Laufen die Hüften schwenkt, wie ich es bisher nicht bei ihr beobachtet habe.
Du kannst es dir schenken, mit dem Arsch vor mir herumzuwackeln, sage ich.
Die Worte dröhnen in meinem Kopf, hinter den verstopften Ohren bin ich mit mir selbst allein im Resonanzraum meines Schädels. Ich halte das Band an.
Mach dir keine Sorgen, sagt sie, ganz locker bleiben. Ich kann nicht anders gehen in diesen Schuhen.
Das ist gelogen. Sie bewegt sich anders als sonst, sie ist aufgeregt, als stände etwas Neues bevor. Vielleicht ist es nur die sinnlose Party. Ich hoffe, dass sie darüber hinaus keine Entscheidungen getroffen hat. Ich drehe den Ton lauter und lege das Gesicht in die Arme. So kann ich vergessen, dass sie überhaupt existiert.
Die Panzerung entdeckten wir erst an der Tankstelle, irgendwo auf der A2 hinter Klagenfurt. Vor der italienischen Grenze sollten wir noch einmal auffüllen, danach war es streng verboten, Tankstellen oder Rasthöfe anzusteuern. Auf der Rückbank befanden sich zwei volle Benzinkanister. Shershah ging rein, um Proviant zu kaufen, er hatte eine EC-Karte von Herbert, die einen mir unbekannten Namen trug und auf die Geheimzahl Null Null Null Null hörte. Während der Sprit in den Tank floss, ging ich um den Wagen herum und sah ihn mir an. Es war eine Mischung aus Geländewagen und Transporter, schwarz, man saß königlich hoch über der Straße, er fuhr sich ausgezeichnet. Als ich die Heckklappe probierte, rechnete ich halb damit, sie würde sich nicht öffnen lassen. Sie schwang auf, der Laderaum war leer. Erst auf den zweiten Blick sah ich, dass die Innenseite der Klappe mit einer metergroßen Stahlplatte verstärkt war. Sie musste Zentner wiegen. Ich öffnete die Motorhaube und fand eine ähnliche Konstruktion. Mit Fingerdruck ließ sich hinter dem Lederbezug an den Innenseiten von Fahrer- und Beifahrertür ein dichtes Netz aus Stahlschnüren ertasten. Und alle Scheiben waren doppelt so dick wie bei gewöhnlichen Fahrzeugen. Panzerglas.
Shershah kam zurück mit zwei Tüten, in denen Flaschen klirrten und Stanniolpapier raschelte. Ich zeigte ihm die Panzerung und führte seine Finger über die
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