Adorkable - Zwei, die sich hassen und lieben
hervorragend, und ich konnte mir gar nicht erklären, warum sie wollte, dass ich ihnen noch weiter auf die Pelle rückte, doch sie hatte mir schon die Hand auf die Schulter gelegt und steuerte mich in Richtung Wohnzimmer; vorher erhaschte ich aber noch einen Blick auf eine verzerrte Grimasse in Michaels Gesicht, als würde ihm die weitere Präsenz meiner Person in seinem Leben und in seinem Haus schlimme Schmerzen verursachen.
Ich wollte nicht mehr länger bleiben. Nicht nur, weil im gleichen Raum mit Michael zu sein, war, als würde man mir die Fingernägel, Fußnägel, Zähne und Nasenhaare ganz langsam, eins nach dem anderen, ausreißen, sondern auch, weil ich mit ihrer Scheiße von der glücklichen Familie nicht umgehen konnte. Abgesehen davon, dass es bei ihnen keine Scheiße war – sie waren wirklich eine glückliche Familie.
Während sie ihre Geschenke öffneten, nahm ich diplomatisch ein Bad, damit es nicht so peinlich auffiel, dass ich ihnen nichts mitgebracht hatte und sie auch nichts für mich hatten, aber als ich wieder die Treppe herunterkam, bestanden Melly und Alice darauf, dass ich ein Paar Feenflügel und eine Zaubertafel aus ihrer gemeinsamen Ausbeute annahm, und ich bekam auch noch eine Schachtel Cadburys Schokoladenauslese und eine Kerze mit Vanillearoma, denn Kathy und Shen gehörten zu der Sorte Eltern, die immer noch einige Geschenke für Last-Minute-Gäste in petto hatten. Michael warf mir nur einen weiteren gequälten Blick zu, als ich dabei half, den Tisch zu decken.
Es war nur ein ganz gewöhnliches, stinknormales Nullachtfünfzehn-Weihnachtsessen. Wir ließen die Knallbonbons knallen und setzten unsere Papierhüte auf und stöhnten über die schlechten Witze in den Knalltüten. Es gab eine Diskussion darüber, wem das letzte Würstchen im Schlafrock zustand, und die selbst gemachte Cranberry-Soße war sehr, sehr schnell alle, weil die Mädchen damit ihre kompletten Teller dick bestrichen hatten.
Das waren alles einwandfreie Weihnachtstraditionen, aber als ich darüber nachdachte, wurde mir klar, dass es die Weihnachtstraditionen anderer Leute waren. Vom letzten Jahr abgesehen, indem Bethan nach Hause gekommen war und wir uns ein kleines, aber perfektes Weihnachtsmahl gekocht und den Tag damit verbracht hatten, meine komplette MGM-Musical-Sammlung anzusehen, waren unsere Familienweihnachtstraditionen nur beschissen gewesen.
Pat und Roy hatten uns morgens immer ziemlich früh aus den Betten geschmissen. Nicht, damit wir unsere Weihnachtsgeschenke aufmachen konnten, sondern weil es pünktlich um zwölf Uhr mittags unser Weihnachtsessen gab. Dann ließen sie mich mit dem Aufräumen zurück, während sie Bethan mitnahmen und zu Andrews Grab auf einem grünen Friedhof in Buckinghamshire – mit einem wilden Kirschbaum und einer umweltfreundlichen Bank auf seiner Parzelle – fuhren, um dort ein paar Blumen niederzulegen. Sie hatten mich nie gefragt, ob ich nicht vielleicht mitkommen wollte, sondern ließen mich immer mit einem Berg schmutziger Teller und einer Schachtel Quality Street zurück.
Wenn sie dann zurückkamen, verschwand Roy in seinem Schuppen und Pat musste sich mit fürchterlichen Kopfschmerzen hinlegen. Bethan hing mit mir herum, aber meistens fing sie am Ende an zu weinen. Das war die Weihnachtstradition unserer Familie. Dann fiel mir auf, dass dies das erste Weihnachten war, an dem niemand Andrews Grab besuchte – im letzten Jahr war Beth an Boxing Day hingefahren –, und darüber war ich so entsetzlich deprimiert, wie ich es nicht einmal gewesen war, als jeder der Lees sich über dem ersten Löffel seines Weihnachtspuddings etwas gewünscht hatte.
Alle sagen, dass Freunde einem irgendwann die Familie ersetzen, ich hatte dazu sogar einen Blog geschrieben; aber als ich da so am Esstisch der Lees saß, überall um mich herum die Weihnachtsknallbonbonreste und Melly und Alice, die uns mit dem stürmischen Refrain von Jingle Bells beglückten, wusste ich auf einmal, dass ich total falschlag.
Freunde sollten einem nicht die Familie ersetzen. Deine Familie sollte deine Familie sein und Freunde sollten in den Stoff deines Familienlebens mit hineingewebt werden. Nur Leute, die keine oder nur eine ganz beschissene Familie hatten, brauchten ihre Freunde als Ersatz. Und dann gab es da noch die Leute, die weder eine Familie noch – wenn sie mal ehrlich darüber nachdachten – wirkliche Freunde hatten.
Das hatte nichts mit Michael Lee zu tun, der mir gegenüber am Tisch saß,
Weitere Kostenlose Bücher