Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
Problem, wie so oft im Fall von Casinos, war die Vergabe des Standorts. Golden Parachute wollte die Magnolia Queen an einem Ufergrundstück vertäuen, das der Stadt von einer prominenten einheimischen Familie – den Pierces – durch einen komplizierten Treuhandfonds vermacht worden war. Eine der Bedingungen des Fonds besagte, dass Pierce’s Landing nie mit einem Casino oder einer Shopping-Mall bebaut werden durfte, solange die Familienmatriarchin am Leben war. Zum Pech des Stadtrats hatte Mrs. Pierce das hohe Alter von achtundneunzig Jahren erreicht und besaß immer noch einen messerscharfen Verstand.
Mein erster Gedanke war es, das Unternehmen zu einer Suche nach einem anderen Grundstück zu überreden, doch es ließ sich nicht umstimmen. Golden Parachute wollte unbedingt Pierce’s Landing haben, das nicht nur das letzte geeignete Ufergrundstück innerhalb der Stadtgrenzen war, sondern auch das beste, mit Ausnahme des Standorts in der Silver Street, den die Lady Luck übernommen hatte, das erste Riverboat-Casino des Staates. Natürlich ließ Golden Parachute verlauten, es werde sein Projekt in Natchez aufgeben, und ebenso natürlich gerieten die Stadträte in Panik. Ich hörte Getuschel über das neue Enteignungsgesetz, das es der Regierung gestattete, Privatgrundstücke für kommerzielle Zwecke zu beschlagnahmen. Dieses Gesetz hielt ich für eines der antiamerikanischsten, die je verabschiedet worden waren, doch meine Politikerkollegen teilten diese Ansicht nicht. Nur Stadtrat Paul Labry stellte sich auf meine Seite und machte sich mit mir gemeinsam in aller Stille ans Werk.
Zuerst trafen wir uns mit einem der Pierce-Erben. Er beschaffte uns ein Exemplar der Stiftungsurkunde, die kaum jemand vorher gesehen hatte, abgesehen von den Umweltschützern, die bei der Formulierung geholfen hatten, und dem ehemaligen Bürgermeister, der kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Amt an Lungenkrebs gestorben war. Zu meiner Überraschung entdeckte ich, dass Mrs. Pierce die Befugnis hatte, die Klausel, die einen Casinobau untersagte, einseitig zu annullieren. Beunruhigt über das zunehmende Gezeter des Rates, der darauf drängte, das Grundstück zu konfiszieren, bat ich um eine Audienz mit der großen alten Dame von Pierce’s Landing.
Ich besuchte die ehrwürdige Lady in einem Konferenzzimmer in Twelve Oaks Gardens, einer betreuten Wohnanlage am Stadtrand. Als Enkelin eines Offiziers, der bei Gettysburg unter General Stuart gedient hatte, führte Mrs. Pierce wie eine Kaiserinwitwe den Vorsitz über einen ganzen Flügel des Gebäudes. Ihre Kinder hatten angeboten, sie aufzunehmen, doch alle waren mittlerweile in anderen Staaten ansässig, und Mrs. Pierce zog es vor, in der Stadt zu bleiben, in der sie ihr gesamtes Leben verbracht hatte. Sie wollte unter Menschen sein, statt in ihrer Villa rund um die Uhr mit Pflegerinnen zu leben (oder »Zuschauerinnen«, wie sie die Frauen nannte, »weil sie hier sind, um zuzuschauen, wie ich meinen letzten Herzinfarkt kriege«). Mrs. Pierce gewährte mir die Audienz, weil mein Vater sie seit mehr als dreißig Jahren behandelte und weil sie, wie sie mir anvertraute, die Bandaufnahmen mehrerer meiner Romane mit Genuss gehört hatte. Ein wenig verlegen gestand sie, dass sie mit achtundneunzig Jahren nicht mehr so gute Augen wie früher habe.
Fast eine Stunde lang erläuterte ich, welche Vorteile es habe, ein Casinoschiff am Grundstück ihrer Ahnen ankern zu lassen. Sehr bald stellte ich fest, dass Mrs. Pierce weder eine religiöse Eiferin noch eine engstirnige Moralistin war. Sie verriet mir, ihr Vater habe jegliche Form des Glücksspiels gehasst, nicht zuletzt, weil sein Bruder im Suff ein schmuckes Haus und mehrere hundert Morgen Ackerland bei einer Pokerpartie verloren hatte. Daneben erwähnte Mrs. Pierce, sie sei vierzig Jahre zuvor auf »allerlei Unerfreuliches« am anderen Flussufer aufmerksam geworden, und zwar im Zusammenhang mit Glücksspielen. Einem ihrer Dienstmädchen hätten sich auf der Straße sogar Männer genähert, die sie für eine Prostituierte hielten.
Da ich nun wusste, worauf sich ihre Einwände gründeten, wies ich darauf hin, dass sich das legalisierte Glücksspiel in Casinos ganz und gar von den verbotenen Kaschemmenpraktiken unterscheide, an die sie sich erinnere. Es sei nun ein streng reglementiertes Gewerbe, das unserem einst Not leidenden Staat Wohlstand gebracht habe. Bei dieser Argumentation konnte ich mich auf konkrete Zahlen stützen: Durch das legalisierte
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