Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
»Und soweit ich weiß, gibt es nur zwei Stellen auf dem Casinoschiff, die nicht Tag und Nacht überwacht werden. Die erste ist Sands’ Büro, wo Kelly und ich mit ihm gesprochen haben, und die zweite ist …«
»Die Folterkammer«, fährt Caitlin fort. »Die Devil’s Punchbowl. Meine Güte.«
»Wenn Jiao stimmaktivierte Recorder in den beiden Räumen versteckt, kann ich alles Übrige erledigen. Fünfzehn Minuten allein mit Hull und Sands, und ich werde sie beide am Schwanz packen.«
»Und du weißt, was dann geschieht«, sagt Kelly und beobachtet Caitlin wie ein hoffnungsvoller Lehrer.
Sie lächelt. »Ihr Herz und Verstand werden folgen.«
Kelly lacht und blickt auf die Uhr. »Zurzeit macht Jiao Po einen PiYo-Kurs im Mainstream Fitness.«
»Kein Witz?«, frage ich.
Kelly schüttelt den Kopf. »Absolut nicht. Sie ist wie ein Mafiaboss. Die Menschen sterben wie die Fliegen, und sie sorgt sich um ihre Zellulitis.«
»Sie hat keine«, sagt Caitlin. »Ich habe die Bilder gesehen. Soll ich mich dort an sie heranmachen?«
Kelly schüttelt den Kopf. »Sie geht nach ihrem Workout gern in das Café an der Franklin Street, um sich grünen Tee und ein Kleiemuffin zu gönnen.«
»Das ist es.« Ich balle die rechte Hand zur Faust.
»Ich habe das Gefühl«, sagt Caitlin, »dass ihr Muffin heute nicht so gut schmecken wird.«
67
C aitlin hat sich an einem kleinen runden Tisch in der Natchez Coffee Bar niedergelassen, einem langen, schmalen Raum in der Stadtmitte unweit des Clubs, in dem Jiao Po ihren PiYo-Unterricht nimmt. Jiao sitzt, keine Armeslänge entfernt, an der anderen Seite des Tisches. Ihre hellen Augen wirken unnahbar, distanziert in dem chinesischen Gesicht, und ihre Haut ist perfekt, ohne jeden Makel. Sie strahlt eine Selbstbeherrschung aus, die Caitlin einschüchtert. Das Café ist fast leer, doch als Caitlin bat, sich an Jiaos Tisch setzen zu dürfen, hatte sie keine Einwände. Erst als Caitlin sich vorstellte, hob Jiao die Augen.
»Werden Sie beobachtet?«, fragt Caitlin. »Von einem von Sands’ Männern, meine ich.«
Kelly hat ihr bereits versichert, dass Jiao nicht verfolgt wird, doch Caitlin möchte jeden Zweifel ausräumen.
»Was wollen Sie?« Jiao betrachtet sie kühl. »Eine rührselige Geschichte für Ihre Zeitung?«
»Nein. Ich möchte Ihnen etwas zeigen. Ein Foto.«
Jiao steht auf.
»Sie sind zu lange in New Orleans geblieben«, sagt Caitlin rasch. »Ich weiß, dass Sie etwas von den Frauen ahnen müssen.«
Die Chinesin zögert.
»Ich weiß, dass Sie in Cambridge studiert haben, Miss Po. Außerdem weiß ich, dass Ihnen kaum etwas entgeht. Aber manchmal sind wir absichtlich blind für Dinge, die wir nicht sehen wollen.«
Jiao bleibt stehen und schaut sich um. Ihr Körper ist völlig starr. »Was ist auf dem Foto?«
Caitlin schüttelt den Kopf. »Sie müssen es sich anschauen. Entweder haben Sie etwas zu befürchten oder nicht. Ich bin nicht hier, um Ihnen wehzutun. Nur Menschen, denen man vertraut, sind dazu in der Lage.«
Jiao tritt mit majestätischer Haltung zurück an den Tisch und sieht Caitlin ungeduldig an. »Also?«
»Würden Sie sich hinsetzen?«
Jiao seufzt leise und nimmt wieder Platz. »Zeigen Sie es mir.«
Caitlin nimmt einen großen braunen Umschlag aus ihrer Handtasche und zieht das Badezimmerspiegelfoto hervor, auf dem Sands beim Sex mit Linda Church zu sehen ist. Mit einem gespenstischen Gefühl der Entrücktheit schiebt sie das Foto über den Tisch, so wie Penn es seinem Bericht zufolge in Shad Johnsons Büro getan hat.
Jiao schreckt nicht zusammen, blinzelt nicht einmal.
»Ist es das Einzige?«, fragt sie schließlich.
»Nein.«
»Lassen Sie mich die anderen sehen.«
Caitlin zieht fünf weitere Fotos heraus. Jedes zeigt Sands beim Sex mit verschiedenen Frauen. Alle sind Angestellte auf der Magnolia Queen , und Jiao muss den meisten in den vergangenen Wochen begegnet sein. Auf dem letzten Foto ist nur ein männliches Glied zu sehen, das in den Anus einer Frau eindringt, doch Caitlin ist überzeugt, dass Jiao weiß, wessen Penis sie betrachtet. Ihre puppenähnlichen Lippen schürzen sich ein paar Sekunden lang, und dann fragt sie, ohne die Augen von dem obersten Bild abzuwenden: »Haben Sie Geld?«
»Ich verstehe nicht …« Caitlin ist verwirrt. Vielleicht ist Jiao von ihrem Onkel verstoßen worden und fürchtet, ohne Sands’ Unterstützung nicht existieren zu können.
Ein flüchtiges Lächeln huscht über Jiaos Gesicht, und die aquamarinblauen Augen
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