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Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl

Titel: Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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sage ich mit gespielter Tapferkeit. In Wirklichkeit habe ich viel mehr Tatortfotos als Opfer gesehen, obwohl mir gewaltsame Todesfälle nicht fremd sind. Aber wenn man das Opfer kennt, ist es eine ganz andere Sache. Sobald die Schranke der professionellen Distanz durchbrochen ist, kann niemand ahnen, welche Emotionen freigesetzt werden.
    »Hatte er seine Brieftasche dabei?«, frage ich und mache ein paar Schritte auf die Szene zu. »Habt ihr deshalb gewusst, wer er ist?«
    »Keine Spur von seiner Brieftasche. Ein Streifenpolizist hat ihn erkannt. Ich hatte zuerst Zweifel, weil das Gesicht durch den Sturz so entstellt ist, aber der Mann schien sicher zu sein. Er sagt, dass er oft an Jessups Tisch Blackjack gespielt hat.«
    Aus der Nähe ist das dunkle Blut zu sehen, das sich unter Tims Oberkörper gesammelt hat. Ich wende mich rasch ab und blicke Logan in die Augen. »Warum hast du mich angerufen?«
    Der Polizeichef erwidert meinen Blick. »Jessup hatte ein Handy in der Gesäßtasche. Er ist auf Gesicht und Händen gelandet, deshalb funktionierte das Handy noch. Ich habe mir die Anrufliste angesehen. Die letzte Nummer, die er vor seinem Tod gewählt hat, war die von deinem Mobiltelefon.«
    Es verschlägt mir die Sprache. Ich habe in den letzten vierundzwanzig Stunden nicht mit Tim gesprochen. Aber wenn er meine Handynummer gewählt hat, hätte es klingeln müssen. Schließlich stand ich an einem der höchsten Punkte der Stadt.
    »Ich bin heute nicht von Tim angerufen worden.«
    Logan denkt ein paar Sekunden darüber nach. »Er hat dich sogar viermal angerufen«, sagt er dann. »Zumindest hat er es versucht. Dreimal ungefähr zwölf Minuten vor seinem Tod, und dann noch einmal in den Sekunden, bevor er über den Zaun gestürzt ist. War dein Handy eingeschaltet?«
    »Ja.«
    Logan fordert mich nicht auf, ihm mein Handy zu zeigen, denn er kann meine Daten mühelos überprüfen, und das wird er wohl auch tun. Um ihm die Arbeit zu ersparen, klicke ich auf die Anrufliste meines Handys. Sie enthält keine Hinweise auf Jessup. Ich trete an Logans Seite, damit er die Liste sehen kann.
    »Könntest du in einem Funkloch gewesen sein?«, fragt er.
    »Nein.«
    »Seltsam. Dann kapiere ich es nicht. Wann hast du vor heute zum letzten Mal mit ihm gesprochen?«
    »Ich kann mich nicht erinnern. Du weißt ja, wie das ist. Ich habe ihn ab und zu auf der Straße gegrüßt, aber zu einem richtigen Gespräch ist es nicht gekommen.«
    Logan nickt, aber seine Augen sind wachsam.
    »Ich würde mir jetzt gerne seine Leiche ansehen, Chief. Bist du einverstanden?« Ich bitte um seine Erlaubnis, denn mir bleibt nichts anderes übrig. Es ist eine reine Gefälligkeit, wenn Logan meinen Wunsch erfüllt. Um ihm bei seiner Entscheidung zu helfen, setze ich hinzu: »Ich möchte so schnell wie möglich zu seinem Haus fahren und seine Frau benachrichtigen.«
    »Willst du nicht wissen, wie es passiert ist?«, fragt Logan. »Wie er über das Geländer gestürzt ist?«
    »Ich möchte ihn mir zuerst ansehen. Kannst du die Leute von hier verschwinden lassen?«
    »Alle bis auf die Leichenbeschauerin. Sie untersteht mir nicht.«
    Zum Glück gehört die Leichenbeschauerin zu den wenigen Personen, deren Anwesenheit ich in dieser Situation ertragen kann. Jewel Washington ist eine Krankenschwester, die für das Amt kandidiert hatte, nachdem sie von einem der beiden Krankenhäuser der Stadt entlassen worden war. In Mississippi braucht ein Leichenbeschauer kein Arzt zu sein, aber Jewel ist sachkundig und gewissenhaft, und sie leistet bessere Arbeit als ihre Vorgänger.
    Ich trete in den Lichtkreis und merke sofort, dass Chief Logan nicht übertrieben hat. Tims Körper hat durch den Sturz massive Verletzungen davongetragen. Durch den Aufprall wurden seine beiden Unterarme gebrochen und sein Schädel über den Augenbrauen gespalten. Das eine Auge, das ich sehen kann, ist verschleiert – das Auge eines toten Fisches auf einem Pier. Im Innern höre ich die Stimme meines Vaters, der mir von René Le Fort erzählt. Dieser französische Chirurg schuf das System zur Klassifizierung von Gesichtsfrakturen, indem er Leichen vom Dach eines Armeelazaretts warf. Doch meine Aufmerksamkeit gilt nicht Tims zerschmettertem Gesicht, sondern seiner Brust und seinen Armen. Das Hemd ist zerfetzt und voller Blut, und seine gebrochenen Unterarme sehen aus, als wären sie von einem wilden Tier zerfleischt worden. An Brust und Hals hat er Stich- und Risswunden. Wenn er nicht dreizehn Meter

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