Adrenalin - Iles, G: Adrenalin - The Devil's Punchbowl
Ächzen hebt er das MacBook vom Boden auf, tippt einen langen Text und schiebt mir den Laptop über die Streichhölzer hinweg zu.
Ich habe über Tims Geschichte nachgedacht. Es ist nicht das erste Mal, dass wir in der Gegend solche Probleme hatten. Und ich rede nicht von den Tagen der Flachboote. Ich meine die Sechziger- und Siebzigerjahre. Ein Stück flussabwärts auf der Louisiana-Seite, die Morville Plantation. Da gab es ein großes Glücksspielgeschäft und auch Mädchenhandel. Die Mädchen wurden von Gott weiß woher geholt, gegen ihren Willen festgehalten und mussten als Huren arbeiten. Der Sheriff war der Boss im Ort und bekam einen Anteil an den Gewinnen. Ich habe Horrorgeschichten von Patienten gehört, und ich hatte selbst ein paar Zusammenstöße mit den Leuten von der Plantage. Die Situation war die gleiche wie heute: Die Personen, die das Unheil verhindern sollten, verdienten stattdessen daran.
Nachdem ich seine Worte aufmerksam gelesen habe, erwidere ich: Ich habe ebenfalls nachgedacht. Korruption braucht nicht verbreitet zu sein, um ihren Zweck zu erfüllen. Ein gut platzierter Polizist, ein stellvertretender Sheriff, ein FBI -Agent, ein Ratsherr oder ein Assistent im Amtssitz des Gouverneurs reicht bereits, um Sands auf dem Laufenden zu halten. Die Spinne besticht ein Dutzend geeignete Personen, und sie hat ihr Netz. Wir wissen, dass die Casinos genug Geld haben, um jeden zu kaufen.
Dad bedeutet mir, ihm den Computer zurückzugeben. Du brauchst jemanden von draußen. Jemanden mit einschlägiger Erfahrung. Ich zermartere mir schon die ganze Nacht das Hirn, und ich komme immer wieder auf Walt Garrity zurück.
Der Name lässt mich stutzen, aber zwei Sekunden, nachdem ich ihn gelesen habe, wird mir klar, dass Dad recht haben könnte. Walt Garrity ist ein pensionierter Texas Ranger, dem ich als stellvertretender Bezirksstaatsanwalt in Houston begegnet bin. Er war Chefermittler bei einem Mordfall, an dem ich arbeitete, und als er hörte, dass ich aus Mississippi stamme, fragte er, ob ich einen alten Mediziner aus dem Koreakrieg namens Tom Cage kannte. So kam es zu einer Wiederbegegnung zwischen zwei Soldaten, die Jahrzehnte zuvor in Korea in derselben Einheit gedient hatten. Und für mich begann eine neue Freundschaft, die mehrere Ermittlungen überdauerte. Ich habe seit rund zwei Jahren nicht mehr mit Garrity gesprochen (seit ich ihn bei den Recherchen für einen in Texas spielenden Roman nach Informationen ausquetschte), aber meine Erinnerung an ihn ist ungetrübt. Er ist ein gerissener alter Fuchs, der zurückhaltend wirkt, bevor man ihn zum Sprechen bringt. Dann wird klar, dass er einen trockenen Humor und langjährige Erfahrung im Umgang mit menschlicher Schwäche in all ihren Formen besitzt. Walt Garrity ist einer der Gesetzeshüter, die jede Möglichkeit ausschöpfen, bevor sie zur Waffe greifen, aber wenn er zum Äußersten getrieben wird, ist er so gefährlich, wie jemand auf der richtigen Seite des Gesetzes es nur sein kann.
Dad übernimmt den Computer und tippt: Walt war in den Fünfzigern und Sechzigern, als er gerade als Texas Ranger angefangen hatte, an der Bekämpfung des Glücksspielgeschäfts in Galveston beteiligt. Ich weiß, das ist lange her, aber das Laster ändert sich kaum.
Damit erinnert er mich an Mrs. Pierces Warnung: »Laster ist Laster, welchen Mantel es auch trägt«, aber ich weiß nicht, ob diese Warnung zutrifft, wenn man die Technologie des digitalen Zeitalters bedenkt. Immerhin kann ich nicht leugnen, dass mir der Gedanke an Walt Garrity ein wenig Trost verschafft. Walt mag über siebzig Jahre alt und offiziell im Ruhestand sein, aber ich habe gehört, dass er immer noch die eine oder andere verdeckte Ermittlung für die Bezirksstaatsanwaltschaft von Harris County übernimmt.
Das könnte ein guter Vorschlag sein , tippe ich. Aber ich kann nicht riskieren, Walt anzurufen, bevor ich keine sichere Verbindung habe.
Walt kannst du mir überlassen , antwortet Dad. Ich arrangiere die Sache. Und fordere mich nicht auf, vorsichtig zu sein, verdammt. Ich weiß, wie man herumschnüffelt.
Als wäre meine Mutter durch Dads Behauptung, er verstehe sich aufs Herumschnüffeln, herbeigelockt worden, höre ich ihre Stimme fragen: »Was machst du hier, Tom?« Sie fragt es in einem Bühnenflüstern, das allen Großmüttern eigen ist, die schlafende Kinder nicht wecken wollen.
Dad und ich blicken gleichzeitig verdutzt auf, als Mom, deren Augen hellwach sind, in ihrem Hausmantel durch
Weitere Kostenlose Bücher