Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
Menschen greifen an mir vorbei nach einem Exemplar. Niemand sieht mir in die Augen. Wir sind in London, einer Stadt, in der die Menschen kerzengerade und mit starrem Gesichtsausdruck herumlaufen, bereit, sich jedem zu stellen und allem aus dem Weg zu gehen. Sie werden andernorts erwartet. Nur nicht stören. Einfach in Bewegung bleiben.
Nachdem ich einen Rhythmus gefunden habe, gehe ich durch Covent Garden, vorbei an den Restaurants und teuren Boutiquen bis zu The Strand, wo ich links abbiege und der Fleet Street folge, bis die gotische Fassade von Old Bailey auftaucht.
Seit mehr als fünfhundert Jahren steht an dieser Stelle ein Gerichtsgebäude, und auch davor fanden hier im Mittelalter jeden Montagmorgen Hinrichtungen statt.
An der Ecke einer kleinen, zur Themse führenden Gasse beziehe ich dem Gericht gegenüber Stellung. Neben fast allen Türen hängen Kanzleischilder, und ich sehe gelegentlich auf die Uhr, um den Eindruck zu erwecken, als würde ich auf jemanden warten. Männer und Frauen in schwarzen Anzügen und Kleidern gehen mit Aktenordern oder mit von Kordeln zusammengehaltenen Aktenmappen unter dem Arm an mir vorbei.
Um halb zehn treffen die ersten Fernsehteams ein – ein Kameramann und ein Tontechniker. Andere folgen. Einige der Fotografen haben Klappleitern und Milchkästen dabei. Die Reporter halten sich gemeinsam im Hintergrund, nippen an Kaffee in Pappbechern und tauschen Klatsch und Fehlinformationen aus.
Kurz vor zehn hält auf meiner Seite der Straße ein Taxi. Eddie Barrett steigt als Erster aus. Er sieht aus wie Danny DeVito mit Haaren. Bobby folgt ihm auf dem Fuße, mindestens zwei Köpfe größer als sein Anwalt, wobei er es trotzdem irgendwie geschafft hat, einen Anzug zu finden, der zu groß wirkt.
Beide sind keine fünf Meter von mir entfernt. Ich senke den Kopf und hauche in meine zusammengelegten Hände. In Bobbys Manteltaschen stecken Zeitungen, seine Augen sind wässrig blau. Als er aus dem warmen Taxi in die Kälte steigt, beschlägt seine Brille. Er bleibt stehen, um die Gläser klar zu wischen. Seine Hände sind ruhig. Die Reporter haben Eddie entdeckt und erwarten ihn mit betriebsbereiten Scheinwerfern und Kameras.
Ich sehe, wie Bobby den Kopf senkt, aber er ist zu groß, um sein Gesicht zu verbergen. Die Reporter bombardieren ihn mit Fragen. Eddie Barrett legt eine Hand auf Bobbys Arm. Bobby zieht den Arm weg, als hätte er sich verbrüht. Eine Fernsehkamera hält direkt auf sein Gesicht. Blitzlichter flackern. Das hat er nicht erwartet. Er hat keinen Plan.
Barrett versucht, ihn die steinerne Treppe hinauf- und unter den Bögen hindurchzuschieben. Fotografen drängeln sich, und einer von ihnen taumelt unvermittelt nach hinten. Bobby steht mit erhobener Faust über ihm. Umstehende packen seine Schultern, und Eddie schwingt seinen Aktenkoffer wie eine Sichel, um ihnen einen Weg zu bahnen. Das Letzte, was ich sehe, bevor sich die Türen schließen, ist Bobbys Kopf über dem Pulk.
Ich gönne mir ein flüchtiges Lächeln, aber nicht mehr. Ich darf mir keine allzu großen Hoffnungen machen. Das Schaufenster einer Geschenkboutique in der Nähe ist mit Weihnachtsmännern aus Marshmallows und rotem und grünem Weihnachtsgebäck voll gestopft. Es gibt Rentier-Uhren mit Nasen, die im Dunkeln leuchten. Im Schaufenster beobachte ich den gegenüberliegenden Eingang des Gerichtsgebäudes.
Ich kann mir vorstellen, was sich hinter seinen Türen abspielt.
Die Pressetribüne wird bis auf den letzten Platz gefüllt sein, für die Öffentlichkeit nur Stehplätze. Eddie liebt es, vor großem Publikum aufzutreten. Angesichts meines unprofessionellen Verhaltens wird er eine Vertagung des Verfahrens beantragen und behaupten, seinem Mandaten würde wegen bösartiger Verleumdungen das Recht auf ein unvoreingenommenes Verfahren verwehrt. Ein neues psychologisches Gutachten müsse in Auftrag gegeben werden, was Wochen in Anspruch nehmen könnte. Bla, bla, bla …
Natürlich besteht immer die Möglichkeit, dass der Richter Nein sagt und Bobby sofort verurteilt. Aber es ist wahrscheinlicher, dass er der Vertagung zustimmt und Bobby das Gericht als freier Mann verlässt – noch gefährlicher als zuvor.
Ich wippe auf meinen Füßen vor und zurück und versuche, mich an die Verhaltensregeln zu erinnern. Die Füße nicht zu dicht nebeneinander und beim Gehen bewusst anheben, um Schlurfen und Nachziehen des Fußes zu vermeiden. Nicht spontan umdrehen. Mein Lieblingsvorschlag, eine Starre zu
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