Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
bewahren, über die Klippe ins Erwachsensein zu stürzen – er will ihre Unschuld bewahren. Das kann er nicht. Es ist unmöglich. Am Ende werden wir alle korrumpiert.«
»Wie bist du korrumpiert worden?«
»Ha!«
»Erzähl mir mehr von deinen Eltern, Bobby. Wann hast du deinen Vater zum letzten Mal gesehen?«
»Ich war acht Jahre alt. Er ist zur Arbeit gegangen und nicht nach Hause gekommen.«
»Warum?«
Bobby wechselt das Thema. »Er war bei der Air Force. Er war kein Pilot, er hat die anderen oben gehalten. Ein Mechaniker. Er war zu jung für den Krieg, aber ich glaube nicht, dass ihm das etwas ausgemacht hat. Er war Pazifist.
Als ich klein war, hat er immer Marx für mich zitiert – mir erklärt, dass Religion Opium für das Volk wäre. Und sonntags sind wir meistens mit dem Bus von Killburn zum Hyde Park gefahren, wo er die Laienprediger auf ihren Obstkisten provoziert hat.
Ein Prediger sah aus wie Captain Ahab aus Moby Dick mit langen weißen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren und einer dröhnenden Stimme. ›Der Herr wird der Sünde Lohn mit ewiger Verdammnis vergelten‹, sagte er und sah mich direkt an.
Und Dad brüllte zurück: ›Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Prediger und einem Psychopathen?‹ Er machte eine Pause, bevor er selbst die Antwort gab: ›Sie hören verschiedene Stimmen.‹ Alle lachten bis auf den Prediger, der sich aufblähte wie ein Kugelfisch. ›Ist es wahr, dass Sie kein Opfer verschmähen, aber große Scheine bevorzugen?‹, fragte Dad.
›Sie, Sir, werden zur Hölle fahren‹, brüllte der Prediger.
Und wo geht’s da lang? Muss ich links oder rechts abbiegen? ‹«
Bobby hat sogar ihren Tonfall perfekt drauf. Er sieht mich verlegen an, und es ist ihm peinlich, dass er so laut geworden ist.
»Wie hast du dich mit ihm verstanden?«
»Er war mein Dad.«
»Habt ihr viel zusammen unternommen?«
»Als ich klein war, hab ich immer zwischen seinen Armen auf der Lenkstange seines Fahrrads gesessen. Er ist immer ganz schnell gefahren, um mich zum Lachen zu bringen. Einmal hat er mich zu einem Heimspiel der Queen’s Park Rangers mitgenommen. Ich saß auf seinen Schultern und hatte einen blauweißen Schal um. Hinterher gab es Schlägereien mit den Fans der Gegenseite aus Shepherd’s Bush Green. Berittene Polizei ist auf die Menge losgegangen, aber Dad hat seinen Mantel um mich gelegt. Ich hätte Angst haben müssen, aber ich wusste, dass ihn nie etwas umhauen würde, nicht mal die Pferde.«
Er verfällt in Schweigen und kratzt sich die Hände.
Jede Kindheit hat ihre eigene Mythologie, die sich um die Realität bildet. Wir fügen unsere eigenen Wünsche und Träume hinzu, bis die Geschichten wie Parabeln werden, die eher sinnbildlich als erhellend sind.
»Was ist mit deinem Vater passiert?«
»Es war nicht seine Schuld«, sagt er abwehrend.
»Hat er dich verlassen?«
Bobby springt auf und brüllt los. »Sie wissen gar nichts über meinen Vater!« Er saugt zwischen zusammengebissenen Zähnen Luft ein. »Sie werden ihn nie kennen! Menschen wie Sie zerstören Leben. Sie weiden sich an Trauer und Verzweiflung. Sobald Sie ein Problem ausgemacht haben, erzählen Sie den Leuten, was sie empfinden sollen. Was sie denken sollen. Sie sind wie die Geier!«
Genauso plötzlich legt sich der Ausbruch wieder. Er wischt sich den Schaum von dem Mund ab und sieht mich entschuldigend an. Er füllt sein Glas mit Wasser und wartet eigenartig ruhig auf meine nächste Frage.
»Erzähl mir von deiner Mutter.«
»Sie benutzt billiges Parfüm und stirbt an Brustkrebs.«
»Das tut mir Leid. Wie alt ist sie?«
»Dreiundvierzig. Sie verweigert eine Brustamputation. Sie war immer stolz auf ihre Brüste.«
»Wie würdest du eure Beziehung beschreiben?«
»Ich habe es von einem Freund in Liverpool gehört. Dort lebt sie.«
»Du besuchst sie nicht.«
»Ha!« Er windet sich frustriert, hat sich aber schnell wieder im Griff. »Ich werde Ihnen meine Mutter beschreiben…« Es klingt wie eine Herausforderung. »Sie war die Tochter eines Lebensmittelhändlers. Ist das nicht ironisch? Genau wie Margaret Thatcher. Sie ist in einem Kramladen an der Ecke aufgewachsen – ihre Windeln wurden direkt neben der Kasse gewechselt. Schon im Alter von vier Jahren konnte sie die Preise eines Warenkorbs addieren, kassieren und das korrekte Wechselgeld herausgeben.
Sie hat jeden Morgen und jeden Nachmittag, auch samstags und an allgemeinen Feiertagen in diesem Laden gearbeitet. Dabei hat sie
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