Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Adrienne Mesurat

Adrienne Mesurat

Titel: Adrienne Mesurat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julien Green
Vom Netzwerk:
haben; sonst werde ich verrückt, ja, verrückt. Vielleicht ist es falsch von mir, Sie zu lieben. Ich kann nichts dafür. Es ist einfach so.«
    »Aber«, sagte er nach einer Weile, »wenn Ihnen jemand abstoßende Dinge über mich erzählen würde, so schlimme Dinge, daß Sie sich von mir abwenden müßten. Wenn Sie zum Beispiel erfahren würden…«
    »Was denn?« fragte sie. »Was wollen Sie sagen?«
    Auf einmal schien er sich anders zu besinnen.
    »Sie müssen verstehen«, sagte er, »ich kann nicht glauben, daß Ihr Glück nur von mir abhängen soll. Gott ist gut. Er kann nicht bewirken, daß Sie sich ernsthaft in einen Mann verlieben, den Sie nicht heiraten können…«
    »Warum kann ich Sie nicht heiraten?«
    Er antwortete nicht auf die Frage, sondern fuhr fort:
    »Deshalb kann ich an dieses Gefühl nicht glauben, oder zumindest nicht an die Tiefe dieses Gefühls.«
    »Wie?« sagte sie. »Aber was soll ich denn tun, um es Ihnen zu beweisen? Soll ich mich umbringen?«
    »Ich will Ihnen beweisen, daß Sie unrecht haben, daß Sie sich über sich selbst täuschen«, erwiderte er hartnäckig.
    Sie preßte die Fäuste gegen die Brust.
    »Aber ich weiß, daß ich mich nicht täusche!« rief sie. »Ich leide. Ich weiß, daß ich unglücklich bin, weil ich Sie liebe. Warum glauben Sie mir nicht?«
    Er blickte sie schweigend an und sagte schließlich:
    »Ich kann dieses Gespräch nicht fortführen, Mademoiselle.«
    »Wie bitte?« sagte sie. »Was wollen Sie tun? Sie. werden doch nicht gehen?«
    Er nahm ihre Hand und zwang sie, sich hinzusetzen. Sie gehorchte zitternd, während er sich vor sie setzte.
    »Ich will Ihnen etwas gestehen, was Sie von mir abbringen wird, Mademoiselle«, sagte er nach einer kurzen Stille.
    Am liebsten hätte sie ihn am Sprechen gehindert, aber der Wunsch, ihn anzuhören, war doch stärker.
    »Was denn?« fragte sie mit kaum vernehmbarer Stimme.
    »Also gut«, sagte er mühsam. »Ich bin krank, sehr krank.«
    »Krank?« wiederholte sie, als würde sie den Sinn dieses Wortes nicht verstehen.
    »Ja«, sagte er. »Deshalb wollte meine Schwester nicht länger in Paris bleiben, wo sie Lehrerin war; sie ist hierher gezogen. Sie machte sich zuviel Sorgen. Ein Anfall kann meinem Leben jederzeit ein Ende bereiten.«
    Adrienne wurde blaß.
    »Das ist nicht wahr«, flüsterte sie.
    »Doch, Mademoiselle«, fuhr er behutsam fort. »Meine Zeit ist begrenzt. In zwei Jahren werde ich unter der Erde liegen.«
    Ein Schrei kam aus ihrer Brust. Sie stand auf, ließ sich aber sogleich wieder in den Sessel fallen. Dicke Schweißperlen liefen ihr über die Stirn. Maurecourt schwieg und blickte sie nicht an.
    »Das ist nicht wahr«, sagte sie plötzlich mit dumpfer Stimme. »Sie sagen das nur, um mich loszuwerden.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Na gut, es ist mir aber gleich!« rief sie. »Es ist mir gleich, ob Sie krank sind! Das ist kein Grund, Sie nicht heiraten zu können. Ich werde mit Ihnen sterben. Was macht es mir schon aus zu sterben, wenn Sie nicht mehr da sind?«
    Sie stand auf und machte eine Bewegung zu ihm hin, doch er stand ebenfalls auf und griff schnell nach ihren Händen:
    »Ich habe nicht das Recht, Sie in einem Irrglauben zu belassen, Mademoiselle«, sagte er mit veränderter Stimme. »Ich liebe Sie nicht.«
    Sie wandte den Blick nicht ab und blieb reglos stehen; aber sie spürte, wie in den warmen Händen des Doktors ihre eigenen Hände kalt wurden, und mit einemmal hatte sie den Eindruck, ihr Herz könne nicht mehr schlagen und sie stürze in einen Abgrund.
    »Was soll dann aus mir werden?« fragte sie.
    Der Schmerz in ihrer Brust nahm zu, sie mußte laut aufstöhnen, um wieder Atem holen zu können.
    Er antwortete nicht gleich. Sie sah Tränen über seine Wangen rollen; er hielt ihre Hände so fest umklammert, als wolle er sie am Weglaufen hindern.
    »Es ist eine schwere Prüfung«, murmelte er. »Sie müssen kämpfen, Sie dürfen den Mut nicht verlieren.«
    Aber sie hörte ihn nicht. Sie blickte über seine Schulter hinweg, als sei er nicht da; ihre Hände waren wie abgestorben.
    Nach einer Weile ging er.

 
VII
     
    Nun war sie allein im Zimmer ihres Vaters. Schon seit einer halben Stunde saß sie in dem Lehnstuhl, vor der halboffenen Tür, als sie jemanden rufen hörte. Sie stand nicht auf, lauschte aber dieser Stimme, die bald durch den Salon, bald durch das Vorzimmer hallte. Dann kündigten Schritte ihr an, daß jemand heraufkam, im ersten Stock nach ihr suchte. Die Rufe wiederholten sich

Weitere Kostenlose Bücher