Advocatus Diaboli
wurde.
Daraufhin dachten alle erneut über Simons Vermutung nach. Sie hielten sich ihre verschiedenen Begabungen vor Augen: Einer hatte heilende Kräfte, einer konnte Dämonen verjagen, eine verströmte Christi Blut, einer sah Tote und einer hatte hellseherische Träume.
Simon fasste die Ahnung, die jeden von ihnen langsam beschlich, mit einer Frage in Worte: »Womöglich sind diese Gaben nichts anderes als ein Fluch …?«
Wieder herrschte lange Zeit Schweigen.
Perrot brach es schließlich.
»In diesem Fall ist es unsere Pflicht, die Absichten unserer Entführer zu vereiteln! Wir können nicht tatenlos zusehen, wie sie uns benutzen, wenn wir nicht wissen, was sie beabsichtigen.«
»Wie sollen wir das anstellen?«, fragte Agnès.
Perrot schilderte den Zwischenfall mit Até, während sie ihr Bad genommen hatte. An diesem Tag hatte er eine Narbe wieder aufbrechen lassen.
»Es war die Wut«, erklärte er. »Einen Moment lang hatte ich keine Angst mehr. Ich hasste diese Frau für die bösen Dinge, die sie über meine Mutter gesagt hatte. Meine Gabe hat sich gegen sie gekehrt.«
Die Kinder sahen sich an.
»Bedeutet das nicht, dass man den Gesetzen des Dämons folgt? Dass man Böses tut?«, fragte Damien beunruhigt.
»Vielleicht«, antwortete Perrot. »Aber im Augenblick haben wir
keine andere Wahl. Wenn es uns gelingt, die Gaben, deretwegen sie uns ausgewählt haben, in ihr Gegenteil zu verkehren, dann sind all ihre Pläne zum Scheitern verurteilt …«
Kurz darauf schworen die fünf einander unter den Blicken der Wachposten, die ihr Gespräch nicht mithören konnten, den Gehorsam zu verweigern, koste es, was es wolle. Sie würden ihren Entführern trotzen, ihnen die Stirn bieten, nicht gehorchen und zusammenhalten, damit Domenico Profuturus und seine Männer scheiterten...
IX
I n dem Lastenaufzug erreichte Pater Aba zusammen mit den beiden letzten Söldnern und drei Pferden die Mauerkrone des Klosters Albertus Magnus.
Von oben schweifte sein Blick über das Innere der Einfriedung. Es war in vier Quadrate unterteilt, die ebenso viele mit Gärten, Brunnen und Buchshecken geschmückte Kreuzgänge bildeten. Entlang der Mauern waren auf nicht weniger als fünf Etagen die Bewohner des Klosters sowie alle Werkstätten und Einrichtungen untergebracht, die für ein Gemeinschaftsleben erforderlich waren. An jeder Ecke der Festung entdeckte er einen Obstgarten, einen Gemüsegarten, einen Gottesacker, Stallungen und einen kreisförmigen Hühnerhof. Die Steinkreuzfenster waren mit Glas gefüllt und die Mauern mit Skulpturen und Reliefs verziert.
Abgesehen von der äußerlichen Perfektion des Ganzen und dem Fehlen einer Klosterkirche in der Mitte überraschte Aba vor allem das Verteidigungsarsenal, das sich hinter dem Festungswall verbarg. Es war so gewaltig, dass man damit eine Armee von tausend Männern in die Flucht hätte schlagen können.
Beim Verlassen des Lastenaufzugs entdeckte Pater Aba den Mechanismus, der das Gerät in Bewegung setzte: Sechs Steinblöcke bildeten das Gegengewicht zum Gewicht des Holzkäfigs beim
Herablassen; zwei gewaltige, gezackte Treträder, in denen vier Männer aufrecht standen, dienten zum Hochziehen der Ketten und zum Hinaufhieven des Lastenaufzugs.
Aba zählte je zwei solcher Vorrichtungen an jeder Seite des Klosters!
Von der Ausstiegsbrücke fiel ein gepflasterter Weg, der breit genug war, damit die Pferde bis zu den Stallungen laufen konnten, in sanftem Gefälle zum Boden ab.
Aba folgte den schwarz gekleideten Männern.
Als sie bei den Gärten angelangt waren, nahmen Stallknechte ihre Rösser und die Kutsche in Empfang; die Soldaten begaben sich zu einem Ausgabefenster, wo ein Mönch auf sie wartete. Jeder von ihnen legte ein achteckiges Holzstück in die Öffnung, das genauso aussah wie das, das Aba in den Habseligkeiten des Söldners aus Castelginaux gefunden hatte und das er sorgsam aufbewahrt hatte.
Er trat vor und zeigte das Ding ebenfalls vor. Der Mönch am Schalter musterte es und runzelte die Stirn. Aba bemerkte, dass die anderen lederbezogenen Holzstücke zwar wie das seine eine Nummer mit vier Ziffern aufwiesen, jedoch ein anderes Zeichen trugen als sein von einem Kreis umgebenes Kreuz. Das bedeutete wohl, dass er nicht zum selben Bataillon gehörte. Der Mönch stellte ihm indes keine Fragen und räumte es mit den anderen zusammen in einen Schubladenschrank.
Aba folgte weiter den schwarz gekleideten Männern. Seine Stirn unter der Kapuze war schweißnass, er
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