Advocatus Diaboli
genommen.
Angewidert ergriff Aranjuez die Waffe und legte sie zu den Büchern des Paters.
Oben hatte Pasquier das Auge von Pater Aba mit Asche bestreut, bis das Blut und die Flüssigkeiten sie nicht mehr durchfeuchteten. Der Puls des Verletzten hatte sich erholt, er schlug nun regelmäßiger und kräftiger. Darauf brachte der Bader ein Dutzend Schröpfköpfe auf dem Rücken des Priesters an, um den Blutfluss zu fördern.
»Nun heißt es warten«, sagte er, als er fertig war. »Das Fieber wird sinken.«
Die fünf Männer und die Frau knieten vor Abas Bett nieder und begannen zu beten.
Draußen hatten die Dorfbewohner beschlossen, einen Sicherheitsring um Cantimpré zu bilden; vier Schäfer postierten sich auf den Höhenzügen, um jede Rückkehr der schwarzen Truppe zu verhindern. Man bestimmte zudem, dass die ganze Nacht über ein großes Feuer und Fackeln entzündet werden sollten, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden.
Tagsüber betete die Gemeinde ein ums andere Mal unter Anleitung von Augustodunensis gemeinsam für die Rettung von Guillem Aba. Die Angehörigen des toten Jungen flehten den Vikar an, er möge unverzüglich eine Totenmesse abhalten. Sie ertrugen den Anblick dieses aufgeschlitzten Leichnams nicht mehr und waren taub für die Vorschriften der Liturgie.
Man hob eine kleine Grube in der Nähe der Kirche aus. Der Leichnam des Jungen wurde gewaschen, in Linnen gehüllt und mit auf dem Bauch gefalteten Händen hinabgelassen. Seine Mutter ließ eine Rassel, eine Kugel und seinen Lieblingskreisel neben ihn fallen.
Seit sechs Jahren waren keine Kinder mehr in Cantimpré gestorben: Augustodunensis spürte, wie sehr dieses Drama den Dorfbewohnern zu Herzen ging.
Er betrachtete sie, wie sie schweigend, mit harten Gesichtern, sonnengebräunter Haut und zerzausten Haaren um das Grab herumstanden. Diese arbeitsamen, zähen Bauern, die niemals ihre Gefühle zeigten, wirkten verloren und hilflos.
In seiner Grabrede mahnte der Vikar, man müsse sich Gottes Beschlüssen, so grausam diese auch sein mochten, in Erwartung der himmlischen Erlösung unterwerfen; er wusste wohl, dass ihm
unter diesen Umständen nichts anderes übrig blieb, als hinter all dem Bösen ein wenig Gutes zu versprechen.
Maurins Vater begrub seinen Sohn unter der Erde, die am Rand der Grube aufgehäuft war.
Während die Dorfbewohner nach der Zeremonie ruhig und gefasst auseinandergingen, kehrte Augustodunensis nachdenklich ins Pfarrhaus zurück und blieb allein in der Stube.
Im ersten Stock wachte Ana, die Tochter des Dekans Aranjuez, über Pater Aba.
Um sich zu beschäftigen, fütterte der Vikar die drei Tiere, entfachte das Feuer in den Öfen, die man zusätzlich herbeigeschafft hatte, um das Haus des Kranken zu heizen, und machte sich an die Reparatur der Tür, die die schwarz gekleideten Männer zerstört hatten. Er bemühte sich angestrengt, jeden Blick auf den wurmstichigen Balken zu vermeiden, der noch mit Maurins Blut befleckt war.
Sein Blick fiel auf die Leiter, worauf der alte Aranjuez das blutbesudelte Schwert neben den Büchern des Paters abgelegt hatte. Noch nie seit seiner Ankunft hatte Augustodunensis diese Bücher beachtet.
Jetzt erkannte er berühmte Titel wieder. Vor seinem ersten Diakonat hatte er fünf Monate im Kloster von Fulda verbracht, das eine der reichhaltigsten Bibliotheken des Okzidents besaß. Er war kein Ungebildeter mehr.
Er las: Die Einführung von Johannes von Parma, die Gesammelten Werke von Guillaume d’Auvergne, das Sic et Nunc von Abaelard, die von Raymond de Pennaforte kompilierten Dekretalen Gregor IX. , ein Handbuch auf Okzitanisch zur Entlarvung der Petrobusianer und das Wunderbuch - Liber prodigiorium - des Julius Obsequens.
Doch es war ein ganz anderes Werk, das die Aufmerksamkeit des Vikars schließlich fesselte: drei Fingerbreit dick, ohne Titel und mit neuem Leder gebunden.
Als Augustodunensis es aufschlug, machte er eine unerwartete Entdeckung: Er hatte nicht etwa eine fromme Abhandlung noch ein dichterisches Werk vor sich, sondern eine von Guillem Aba eigenhändig verfasste Schrift.
Der Priester von Cantimpré führte darin akribisch Buch über alle Äußerungen und Bewegungen seiner Gemeindemitglieder seit dem Jahr 1282. Kein Tag, kein Geschehnis, und sei es noch so unbedeutend, fehlte darin: die vorübergehende Anwesenheit eines fahrenden Händlers am vergangenen 4. August, der Aufbruch eines Schäfers für zehn Nächte im September zur Hochebene von Gage im Norden des
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