Advocatus Diaboli
entziffern zu können.
Chênedollé ließ seine Blicke um den Schreibtisch herumwandern, und plötzlich fiel ihm das wilde Durcheinander auf, das an diesem Ort herrschte, die beeindruckende Anzahl von Büchern und einige überraschende Gegenstände wie etwa ein Katzenskelett, an dem nachlässig eine Schleuder aus Aalhaut hing.
Er warf seinem Diener einen Blick zu, doch dessen Augen waren auf Gui geheftet, der die Texte eingehend untersuchte.
Plötzlich fragte Benedetto: »Leidet Ihr an Schlafstörungen?«
Chênedollé zuckte zusammen.
»Mag sein.«
»An einer schweren Zunge, mangelndem Appetit, Schwierigkeiten mit der Aufmerksamkeit, Durchfall vielleicht?«
»Ach, woher wisst Ihr das?«
Nun war es an Benedetto, mit den Schultern zu zucken, und er sagte: »Das steht alles hier …«
Er zeigte die Seiten Chênedollé.
»In Wahrheit hat Euer Venezianer keinerlei Probleme mit dem Latein, nur hat er in den von Euch unterzeichneten Vertrag heimlich eine zweite Vereinbarung eingefügt, und zwar in einem Geheimcode. Der Mann benutzt eine alte Technik zur Verschlüsselung von Briefen, die vollkommen überholt ist und dem erstbesten Prüfer ins Auge springen würde. Zudem versteht er sich nur schlecht darauf, sodass er gezwungen ist, Satzbaufehler zu machen, um den Code seiner Geheimschrift einzuhalten!«
Chênedollé stieß ein wütendes Knurren aus.
»Was sagt er?«
Benedetto nahm seinen Griffel zur Hand und bildete geschwind neue Sätze, indem er die ersten, zweiten und dritten Buchstaben in jedem Wort mit mehr als zwei Silben markierte.
»Er wendet sich besonders an Euren Vorarbeiter Quentino …«
Chênedollé erbebte bei der Erwähnung dieses ihm bekannten Namens.
»… der, wie es scheint … wahrhaftig der Geliebte Eurer Gattin ist! Die beiden machen mit dem Venezianer gemeinsame Sache, um Euch in den Ruin zu treiben und Eure Kunden zu übernehmen. Sie haben ein ähnliches Geschäft wie Ihr in Ravenna eröffnet, es enthält die wertvollen Waren, die man Euch vorenthält. Damit sie ihre Ziele schneller erreichen, schlug der Venezianer ihnen vor, Euch mit Bilsenkraut zu vergiften.«
Chênedollé streckte die Arme zum Himmel.
»Ah! Aber das ist genau das Gebräu, das man mir zur Behandlung meiner Geschwüre verordnet hat!«
»Das ist das Raffinierte daran: Die Pflanze hat die Eigenschaft, dass sie je nach Dosierung wie ein Heilmittel oder wie ein Gift wirkt. Diese drei Personen haben sich verschworen, um Euch in kleinen Schritten zu töten … Es tut mir sehr leid, mein Herr.«
Chênedollé stand bleich und mit geballten Fäusten da, er war hin und her gerissen zwischen der Bestürzung darüber, dass er bestohlen, gehörnt und ermordet werden sollte, und dem Erstaunen darüber, wie wohlbegründet Benedetto Guis Ruf war.
»Man hat mir gesagt, dass Ihr ein Mann für alle Fälle seid!«
Benedetto überhörte das Kompliment und erhob sich, um klarzustellen, dass die Unterredung nun beendet sei.
»Die Verschlüsselungstechnik ist zwar dürftig, aber man muss anerkennen, dass das Vorgehen nicht der Vorzüge entbehrt: Wie könnte man eine Korrespondenz besser vor jemandem verheimlichen, als indem man sie ihm direkt unter die Nase hält?«
Der dicke Maxime de Chênedollé knurrte erneut und legte sodann
drei Dukaten neben das Tintengefäß aus Horn auf den Schreibkasten.
»Danke, mein Freund«, sagte er. »Zu niemandem ein Wort davon. Wie würde ich dastehen, wenn meine Konkurrenten erführen, dass man mich übers Ohr hauen kann!«
Gui machte eine Kopfbewegung, die zeigte, wie sehr ihm das egal war. Gleichwohl wog er die Dukaten in der Hand und versprach es.
Er begleitete den Mann und seinen Diener hinaus und machte so den Ausrufen des reichen Kaufmanns ein Ende.
»Frauen … Geld … Verrat … Nichts ist je so, wie man glaubt!«
Chênedollé winkte die Sänftenträger herbei und machte es sich wieder bequem.
Erleichtert sah Benedetto ihn davonziehen. Er liebte es nicht, mit dem häuslichen Leben solcher Leute in Berührung zu kommen. »Es kommt nie etwas Gutes dabei heraus, wenn man sich da einmischt.« Er bedauerte sogar schon, dass er das Geheimnis der Frau und ihres Geliebten preisgegeben hatte. Wenn sie sich an ihm rächen wollten, müsste er seinen Hals retten und seine kostbare Zeit dafür verschwenden.
Er schloss die Tür hinter sich und betrachtete die drei Dukaten. Das dürfte genügen, um das Verschwinden von Zapettas Bruder aufzuklären, dachte er lächelnd. Wie er an diesem Morgen zu
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