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Äon

Äon

Titel: Äon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Platz auf, um Patricia aus den Gurten zu helfen. »Wortkarge Bande«, sagte er, während er sie zum Schleusenzugang führte. »Ich liefere Sie ihnen auf Gedeih und Verderb aus. Und erzählen Sie uns davon…« – er klopfte ihr väterlich auf die Schulter –, »eines Tages, wenn das alles vorbei ist und wir in einer Bar in Sausoslito sitzen und in Erinnerung schwelgen…« Er grinste, so lächerlich war sein Bild. »Sagen Sie uns, was sich, zum Teufel, hier oben abgespielt hat – Schritt für Schritt. Wir werden’s bewahren bis zum Ende unsrer Tage.«
    »Warum glauben Sie, daß man es mir sagt?« fragte Patricia.
    »Tja, wissen Sie nicht?« Rita war zur Schleuse gekommen. »Sie sind erste Kategorie. Sie sollen ihre kollektive Haut retten.«
    Patricia stieg in die Transferblase, und sie schlossen die Schleuse hinter ihr. Durch das Fenster konnte sie den eigenartigen Hunger in ihren Gesichtern sehen. Dann ging die Luke auf, und zwei Männer im Raumanzug griffen herein und zogen die Blase aus dem OTV. Von Hand zu Hand wurde sie durch eine kreisrunde Öffnung im grauen Landedock gereicht.

 
2. Kapitel
     
    Fünfundzwanzig Kilometer unterhalb der Achse brachte die Rotation des Steins eine Kraft von sechs Zehntel g zustande. Garry Lanier nutzte das täglich dazu, Turnübungen zu absolvieren, die er auf der Erde nur mühsam oder gar nicht geschafft hätte. Er schwang hin und her, indem er die Atemluft prustend ausstieß, und wirbelte mit gestreckten Beinen hoch über den Barren und die Grube mit feinem weißen Sand. Es war leicht, sich mit einem Ruck in die Ausgangsposition zu begeben. Fast ebenso leicht war es, die Beine in die Luft zu schwingen und sich rückwärts zu überschlagen.
    Durch die Übung bekam er einen klaren Kopf – zumindest für einige Minuten – und fühlte er sich zurückversetzt in die Turnstunden seiner College-Zeit.
    Die erste Kammer des Steins glich im Querschnitt einem gedrungenen Zylinder, der im Durchmesser fünfzig Kilometer und am Boden dreißig Kilometer maß. Da jede der ersten sechs Kammern des Steins im Durchmesser größer als lang war, glichen sie tiefen Tälern, und als solche wurden sie manchmal auch bezeichnet.
    Lanier hielt mit einwärtsgekehrten Zehenspitzen einen Moment still und blickte zur Plasmaröhre hinauf. Lichtringe glitten durchs ionisierte Gas, das nur geringfügig dichter war als das Beinahe-Vakuum ringsum, und schossen entlang der Achse vom Bohrloch zur gegenüberliegenden Kammerwand mit solcher Geschwindigkeit, daß das Auge die Bewegung als hohlen Schaft, als fortlaufende Röhre deutete. Die Plasmaröhre, die sich in die andern Kammern fortsetzte, erzeugte alles Licht im Steininnern – und das schon seit zwölf Jahrhunderten.
    Lanier landete im Sand und rieb sich die Hände am Sweatshirt ab. Er turnte eine Stunde, nicht länger, wenn es sein Zeitplan erlaubte, was nicht oft vorkam. Seine Muskeln bekamen die fehlende Erdschwerkraft zu spüren. Wenigstens hatte er sich an die dünne Luft akklimatisiert.
    Er strich sich durchs kurze schwarze Haar und schüttelte mit ausdruckslosem Gesicht langsam die Beine aus.
    Bald ginge es wieder ins kleine Büro im Verwaltungsbungalow, ans Unterzeichnen von Tafeln zur Materialzuteilung für die verschiedenen Experimente, ans Überwachen der Schichtwechsel des wissenschaftlichen Personals in den überfüllten Labors, ans Einteilen der Gerät- und Zentralrechnerbenutzungszeiten, an die Memoblöcke und die Informationen aus den Kammern zwei und drei…
    Und ans Durchsetzen von Sicherheitsfragen, ans Anhören der ständigen Beschwerden der Russen wegen eingeschränkter Bewegungsfreiheit.
    Er schloß die Augen. Mit all dem wurde er fertig. Hoffman hatte ihn einmal den geborenen Verwalter genannt, und das stellte er nicht in Abrede. Menschenführung – besonders fähiger Persönlichkeiten – war sein Lebensinhalt.
    Aber es ginge auch zur kleinen Statuette in der obersten Schublade seines Schreibtisches. Für ihn symbolisierte die Statuette alle Eigenheiten des Steins.
    Es war die lebensechte, räumliche Darstellung eines Mannes, in einen Kristallblock eingegossen. Am Fuß des Blocks von knapp zwölf Zentimetern Höhe stand in fließender Schönschrift ein Name eingraviert: KONRAD KORZENOWSKI.
    Korzenowski war der Hauptkonstrukteur des Steins vor sechshundert Jahren gewesen.
    Und da fing es an – er dachte ans Bibliotheksungetüm, das ihn zu verschlingen drohte – das Wissen, das tagtäglich ein Stück seiner Menschlichkeit

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