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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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blinzelte mehrmals und sah sich verwirrt um. Der Taxifahrer starrte ihn an wie jemand, dem Tentakel aus dem Kopf
gewachsen waren. Annas Gesichtsausdruck ließ sich nur schwer deuten - Sebastian glaubte, darin fast so etwas wie Verzweiflung zu erkennen.
    »Geht es dir jetzt besser?«, fragte Anna. Sie hielt noch immer seinen Kopf.
    »Ja.« Sebastian nickte. »Ja, ich glaube schon.« Sein Puls raste nicht mehr, aber er schwitzte wie nach einer großen körperlichen Anstrengung.
    Anna ließ die Hände sinken, langsam und vorsichtig, als traute sie dem Frieden nicht ganz. Als Sebastian aus dem Fenster sah, stellte er fest, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Das Taxi stand vor der Glasfront eines modernen Hochhauses, das blaugrau in den Himmel ragte - das Reval Hotel Latvija in der Elizabetes-Straße.
    Als Sebastian die Tür öffnete, erwies sich Anna als erstaunlich flink, sprang hinaus, huschte um das Taxi herum und nahm ihn in Empfang, als er ausstieg. »War es so schlimm mit mir?«, fragte er.
    Sie zuckte mit den Schultern und lächelte schief. Sebastian holte das Gepäck aus dem Kofferraum, bezahlte den Fahrer, ging mit Anna zum Eingang des Hotels und sah sich dabei unauffällig um. Nirgends eine Uniform in Sicht. Keine Polizei. Inzwischen lief zweifellos eine internationale Fahndung nach Simon Krystek, und es war sogar bekannt, in welchem Hotel in Riga er absteigen wollte. Aber vielleicht war genau das der Grund, überlegte Sebastian. Eine massive Polizeipräsenz hätte Krystek sicher abgeschreckt und ihn veranlasst, sich eine andere Bleibe zu suchen. Vermutlich gab es zivile Ermittler vor Ort.
    Drinnen erwartete sie eine moderne Lounge, in der goldgelbe und rote Töne überwogen. An der Rezeption sprach
man sowohl Deutsch als auch Italienisch, und das Einchecken war kein Problem.
    Als sie zum Lift gingen, veränderte sich Sebastians Wahrnehmung erneut. Einige Meter vor dem Aufzug blieb er stehen, sah sich um und beobachtete … Geister der Vergangenheit. Transparente Gestalten wandelten durchs Foyer des Hotels, die Frauen in lange Gewänder gekleidet, die Männer in teilweise geckenhaft anmutende Anzüge, mit hohen Hüten auf dem Kopf und Gehstöcken. Sie schritten über Teppiche, die im Lauf der Jahrzehnte Farbe und Muster gewechselt hatten. Und unter ihnen jemand, der geisterhaft wie die anderen Gestalten wirkte, obwohl ihn vermutlich nur wenige Stunden von der Gegenwart trennten: ein Mann in einem dunklen Anzug, schlank, etwa fünfunddreißig, das Haar schwarz und kurz, das Gesicht schmal, mit auffallend tief in den Höhlen liegenden Augen. Das Phantom dieses Mannes ging an Sebastian vorbei zum Lift, drehte den Kopf und richtete den Blick so auf ihn, als könnte er ihn sehen.
    Die Geister der Vergangenheit verschwanden.
    »Er ist hier«, sagte Sebastian, setzte sich wieder in Bewegung und trat zusammen mit Anna in den Aufzug. »Simon Krystek. Er ist hier. Wir werden ihm begegnen.«

23
    Rom
    D raußen schien die Sonne des späten Nachmittags über Rom und dem Vatikan, aber in dem großen Zimmer mit der hohen Decke, in das man Gabriel und seine beiden Begleiter führte, war es so düster, dass die Ecken im Dunkeln blieben. Mehrere Personen saßen oder standen in dem Raum, und eine von ihnen erkannte Gabriel sofort.
    »Bischof Munari …« Er neigte den Kopf.
    Der hochgewachsene Mann trat auf ihn zu und streckte die Hand aus. »Herzlich willkommen, Gabriel. Sie tragen seinen Namen.«
    »Um ihn zu ehren, Exzellenz. Ich habe ihm viel zu verdanken.« Er schüttelte die Hand des Bischofs.
    Munari winkte einer der anderen Personen zu, die sofort zu einem der Fenster ging und den Rollladen hochzog. Es wurde etwas heller in dem Zimmer, aber die Schatten in den Ecken blieben.
    »Sie sind sein bester Schüler, wie ich hörte«, sagte der Bischof. »Wie geht es ihm?«
    »Den Umständen entsprechend. Er ist krank und fast neunzig.«
    »Ich habe Gabriele Amorth lange nicht mehr gesehen.
Bitte übermitteln Sie ihm meine besten Grüße, Don Gabriel.«
    »Sehr gern.« Gabriel neigte erneut den Kopf und nahm zur Kenntnis, dass der Bischof keine Anstalten machte, die anderen Personen vorzustellen. Zwei saßen mit dem Rücken zum Fenster; er sah ihre Silhouetten, aber nicht die Gesichter. Zwei weitere standen auf der rechten Seite, neben einer Lampe: Männer in mittleren Jahren, die Anzüge trugen, wie er selbst. Zivile Beamte? Ein fünfter Mann saß links neben einem niedrigen Tisch, auf dem ein anderthalb Meter durchmessender

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