Aeon
fragte er. Jazikow öffnete sein Exemplar zögernd.
»Lesen Sie!«, sagte Lanier.
»Dostojewski«, sagte Belozerski. Er tauschte das Buch mit Jazikow. »Und Aksakow. Und was soll daran so interessant sein?«
»Wenn Sie einen Blick aufs Erscheinungsdatum werfen wollen, meine Herren«, sagte Lanier leise. Die Herren öffneten das Buch, lasen und klappten es heftig wieder zu.
»Wir müssen dieses Magazin gründlich durchforsten«, sagte Belozerski. Der Gedanke schien ihn nicht gerade froh zu stimmen.
Mirski hielt das offene Buch in beiden Händen und blätterte rasch durch die Seiten, wobei er immer wieder das Impressum aufschlug und einmal mit dem Finger über die Jahreszahl strich. Er schloss das Buch, wobei er den Daumen zwischen den Seiten behielt, klopfte mit dem Buchrücken mehrmals auf den Tisch und sah Lanier dabei an. Die Bibliothek der zweiten Kammer wirkte mit einem Mal finsterer als sonst.
»Es wird die Geschichte eines Krieges dargestellt«, bemerkte Mirski fast als Frage. »Handelt es sich um eine exakte Übersetzung?«
»Anzunehmen.«
»Meine Herren, ich muss ein paar Minuten allein sein mit Mr. Lanier. Genossen Offiziere, bitte warten Sie mit General Gerhardt und seinen Leuten draußen, und nehmen Sie unsere Männer mit.«
Belozerski legte sein Buch auf einen leeren Tisch, und Jazikow folgte seinem Beispiel. »Machen Si e’s kurz, Genosse General«, riet Belozerski.
»Es dauert, so lange es dauert«, erwiderte Mirski.
Lanier hatte, auf eine solche Gelegenheit hoffend, eine Feldflasche halb voll Brandy mitgebracht. Nun goss er jedem einen Becher voll ein.
»Kann ich gebrauchen«, sagte Mirski und prostete mit dem Becher.
»Besonderer Service des Hauses«, sagte Lanier.
»Meine politischen Offiziere würden Sie des Versuchs bezichtigen, mich alkoholisieren und aushorchen zu wollen.«
»Von dem bisschen wird man nicht betrunken«, meinte Lanier.
»Leider. Ich verkrafte das nicht.« Mirski prostete mit dem leeren Becher zweimal in den Lesesaal hinein. »Sie können so was vielleicht verkraften – ich nicht. Es erschreckt und beängstigt mich.«
»Mit der Zeit werden Sie lernen, es zu verkraften«, sagte Lanier. »Es macht einem Angst, aber lässt einen nicht mehr los.«
»Sie wissen schon ’ne Weile davon?«
»Seit zwei Jahren.«
»Ich glaube, ich werde es anderen überlassen, hier auf Entdeckungsreise zu gehen. Meine Leute werden nun freien Zugang haben – ohne Einschränkung, ein jeder, ob Mannschaft oder Offizier, richtig?«
»So lautet unsere Übereinkunft.«
»Wo haben Sie Russisch gelernt? In der Schule?«
»In der Bibliothek der dritten Kammer«, antwortete Lanier. »Hat nur gute drei Stunden gedauert.«
»Sie sprechen akzentfrei wie ein Moskauer. Einer, der vielleicht ein paar Jahrzehnte in Übersee gelebt hat, aber immerhin … Könnte ich Englisch auch so rasch lernen?«
»Anzunehmen.«
Lanier teilte den letzten Rest Brandy zwischen ihnen auf, und sie prosteten sich zu.
»Sie sind ein seltsamer Mann, Garry Lanier«, sagte Mirski ernst.
»So?«
»Ja. Sie sind nach innen gekehrt. Sie beobachten andere, zeigen von sich aber nichts.«
Lanier reagierte nicht darauf.
»Da, sehen Sie?« Mirski lächelte. »So sind Sie.« Mit einem Mal setzte der Russe wieder seine skeptische Miene auf. »Warum haben Sie nicht von Anfang an die Welt davon in Kenntnis gesetzt?«
»Wenn Sie sich hier und in der dritten Kammer ein bisschen vertrauter gemacht haben, dann fragen Sie sich, wie Sie gehandelt hätten.«
Diesmal war Mirski es, der nicht reagierte. »Es bestehen tiefe Zerwürfnisse zwischen unseren Völkern«, sagte er, »die sich nicht ohne Weiteres aus der Welt schaffen lassen. Vorerst ist mir dieser Ort ein Rätsel. Ebenso rätselhaft ist unsre Position hier und eure. Meine Unwissenheit ist gefährlich, Mr. Lanier. Deshalb will ich hierherkommen oder in die andere Bibliothek, sobald es meine Zeit erlaubt, und mich bilden. Und ich will Englisch lernen mit Ihrer Methode, wenn es geht. Aber um einer allgemeinen Verwirrung vorzubeugen, sollten meiner Meinung nach nicht alle meine Leute hereingelassen werden. Wäre es nicht klug, wenn Sie ähnliche Beschränkungen festsetzen könnten?«
Lanier schüttelte den Kopf und fragte sich, ob Mirski der Widerspruch in sich auffiel. »Wir sind hier, weil wir den alten Trott brechen, nicht wieder in Gang setzen wollen. Was mich angeht, so sei sie offen für alle.«
Mirski sah ihn ungemütlich lange an und stand dann auf. »Vielleicht«,
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