Aerzte zum Verlieben Band 57
hielt sie fest. „Amy, nein“, hörte sie ihn beschwörend sagen. „Hör mir zu, bitte. Er lebt. Wirklich, er lebt.“
„Sei still!“, schrie sie verzweifelt auf und presste die Hände an die Ohren. Trotzdem konnte sie ihn noch verstehen, und der Klang seiner Stimme, die gnadenlosen Worte schwollen in ihrem Kopf zu einem dröhnenden Glockenläuten heran, immer lauter und lauter …
Er lebt … er lebt … er lebt …
„Neiiin! Geh weg! Ich hasse dich! Lass mich allein, lass mich endlich allein!“
„Amy, beruhige dich.“ Die Männerstimme klang besänftigend. „Komm, schlaf weiter, es ist alles gut.“
„Ben?“, flüsterte sie schleppend, bemüht, die Worte überhaupt herauszubringen. „Ben, er lügt, bring ihn weg. Er soll gehen.“
„Schon gut, Amy. Er ist weg. Schlaf ruhig, es ist alles gut.“
Sie wollte widersprechen, ihm sagen, dass gar nichts gut war. Sie mussten es doch wissen! Die Gedanken entglitten ihr, der Schmerz ließ nach, und dann hüllte gnädiger Nebel sie ein …
Ben fand ihn im Toilettenraum am Ende des Flurs. Matt lehnte an der Wand und zitterte am ganzen Körper.
„Alles okay?“ Ben legte seinem Bruder eine Hand auf die Schulter.
Matt richtete sich auf. „Ben, ich schaffe das nicht. Ich kann das nicht.“
„Natürlich kannst du das. Sie wird sich erholen, sie ist nur noch verwirrt durch die Medikamente. Vergiss nicht, dass sie ein Hirnödem hatte.“ Ben drückte ihm ein Papiertuch in die Hand. „Wasch dir das Gesicht, und dann komm, wir reden darüber. Amy hat Flashbacks, ihre Erinnerung spielt ihr üble Streiche, aber das gibt sich bald.“
„Da bin ich mir nicht so sicher.“ Ein bitterer Geschmack breitete sich in Matts Mund aus.
„Aber ich. So, mach dich fertig, wir gehen spazieren. Du kannst ein bisschen frische Luft gebrauchen.“
Frische Luft? Matt fiel eine ganze Menge ein, was er brauchte. Frische Luft gehörte nicht dazu. Er brauchte ein Wunder, aber da das nicht in Sicht war, begnügte er sich mit dem Nächstbesten … der Unterstützung seines Bruders.
6. KAPITEL
Es war ruhig, als sie wieder erwachte.
Ruhig und still.
Sofern man im Krankenhaus von Stille reden konnte. Natürlich war da das Zischen und Piepsen der Maschinen, Telefonklingeln in der Ferne, eilige Schritte, gedämpfte Unterhaltungen, aber für sie hörte sich das alles weit entfernt an, als würde sie unter einer dicken Decke liegen.
Weil es Nacht ist, wurde ihr klar.
Amy öffnete die Augen und sah sich um. Intensivstation? Tatsächlich, sie war an alle möglichen Geräte und Apparaturen angeschlossen. Matt schlief in dem Stuhl neben ihr, mit dem Oberkörper halb auf dem Fußende ihres Bettes, den Kopf auf einen Arm gelegt, die andere Hand locker auf ihrer. Sein Gesicht konnte sie nicht sehen, weil eine Falte in der Bettdecke es verbarg, doch sie wusste, dass er es war.
Sie hatte das Gefühl, dass er die ganze Zeit bei ihr gewesen war. Wie durch Watte erinnerte sie sich an seine drängende Stimme. Amy blinzelte, um das Bild vor ihrem inneren Auge schärfer zu stellen, aber es gelang ihr nicht. Ihre Gedanken waren zäh wie Kleister, bewegten sich kaum vom Fleck.
Vorsichtig regte sie sich. Ihr tat alles weh, und vage erinnerte sie sich, dass etwas Unerhörtes passiert war. Wenn sie nur wüsste, was.
Samuel, dachte sie. Aber nein, das stimmte nicht. Samuel, das war Jahre her, und sie spürte, wie die vertraute Traurigkeit sie einhüllte. Stärker als sonst, zusammen mit einer unerklärlichen Angst.
Sie entzog Matt ihre Hand und betastete ihren Bauch. Er war flach und weich, und weiter unten tat es weh. Ein Verband … Ja, da war ein Verband, wie nach einer Operation.
Kaiserschnitt? Warum hatte sie einen Kaiserschnitt gehabt? Oh, denk nach!
Ja, jetzt erinnerte sie sich. An Kopfschmerzen, entsetzliche Kopfschmerzen. Sie hatte sie den ganzen Tag gehabt, und als sie nach Hause kam, waren sie unerträglich gewesen. Und dann …
„Oh!“
Ihr leises Aufkeuchen weckte Matt. Er brummte etwas, richtete sich auf und rieb sich den Nacken, drehte den Kopf hin und her, um die verspannten Muskeln zu lockern. Sein Lächeln wirkte müde und … wachsam?
„Amy, du bist wach. Geht es dir gut?“
Sie nickte. Aber er sah furchtbar aus: unrasiert, mit zerknitterter Kleidung und geröteten Augen. Vor Erschöpfung? Oder weil er geweint hatte? Sie erinnerte sich, dass er schon einmal so ausgesehen hatte …
„Matt, was ist passiert?“, fragte sie, obwohl sie nicht sicher war, dass sie die
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