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Aerztekind

Aerztekind

Titel: Aerztekind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Wittmann
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Kontrolle und sogar einmal im Jahr zur Zahnreinigung, die ich, weil nicht mehr privat versichert, sogar aus eigener Tasche bezahle. Doch irgendwann befand mein linker Schneidezahn, dass es Zeit für eine Wurzelentzündung sei, das herkömmliche Prozedere, den Zahn aufzubohren und den Nerv zu ziehen, blieb allerdings wirkungslos. Also verordnete mein behandelnder Zahnarzt (der einzige Arzt, den ich außer meinem Vater für voll nehme, da er mit seinem Einsatzgebiet einen Bereich abdeckt, den mein Vater wirklich nicht behandeln kann) eine Wurzelspitzenresektion, und die ist tatsächlich genau so abartig, wie sie sich anhört, denn das Zahnfleisch wird auf Wurzelhöhe aufgeschnitten, dann wird ein kleines Loch in den Kieferknochen gebohrt, die Spitze des entzündeten Zahns wird abgehackt, das Ganze mit einer ekligen Masse bestrichen, Loch zu, Zahnfleisch drauf, und dann bitte nicht rumheulen, weil es eine irre Schwellung gibt.
    Ich lag also beim kieferorthopädischen Chirurgen auf dem Stuhl, die Ärztin, die die OP durchführen würde, wuselte um mich herum, und der Anästhesist quatschte mich voll, als wenn es kein Morgen mehr gäbe, erzählte von skurrilen Situationen aus seinem ach so wahnsinnig spannenden Berufsalltag und versuchte, das weiß ich genau, sich ein wenig wichtiger darzustellen, als er tatsächlich war.
    Und dabei war ich Tochter eines Arztes – eines richtigen, wohlbemerkt, der seinen Patienten auch mal auf die Pelle rückte, wenn es sein musste, und nicht nur ein paar bewusstseinsbenebelnde Anästhetika verabreichte. Als wenn mich seine Geschichten vor die Haustür gelockt hätten – pah!
    »Wissen Sie, es ist nicht leicht, die richtige Dosis für einen Patienten zu finden.«
    Ja, sicher, dachte ich mir und guckte gelangweilt. Es gab Ärzte, die buddelten in Hirnmasse herum, andere verlegten Nervenbahnen neu, wieder andere entdeckten unbekannte Krankheiten oder behandelten in der Savanne Afrikas malariakranke Kinder – und das Problem dieses Vertreters seiner Zunft war die richtige Dosierung? Also bitte.
    »Manchmal erzählen einem die Patienten nicht von allen Vorerkrankungen oder schummeln bei der Angabe ihres Gewichts.«
    Er bedachte mich mit einem skeptischen Seitenblick. Ja, okay, ich hatte auch sieben Kilo weniger angegeben – na und? Solange ich der Meinung war, weniger als 78 Kilo zu wiegen, reichte das völlig aus. Es war ja nicht so, dass er sich auf eine OP an einem Kaninchen eingestellt hatte, und jetzt lag ein Elefant bei ihm auf dem Tisch. Lächerlich.
    Ich atmete hörbar genervt aus.
    »Da kann dann schon mal was schiefgehen bei der Anästhesie – aber daran ist dann natürlich der Patient schuld, immerhin hat er gelogen, als er seine Angaben machte.«
    Wieder glotzte er unverhohlen auf meinen Bauch. Ich wurde langsam sauer. Versuchte mir dieser Kurpfuscher doch gerade zu verklickern, dass alle Patienten, die unglücklicherweise mitten bei ihrer komplizierten Bandscheibenoperation aufwachten und die unappetitlichen Details dessen mitbekamen, was die pietätlosen Ärzte während so einem Achtstundeneingriffs von sich gaben, selbst dran schuld seien, weil sie auf dem Anamneseblatt ein paar Kilos falsch berechnet hatten. Widerlich!
    »Es ist ja auch eine große Vertrauenssache. Immerhin überlässt der Patient die ganze Kontrolle dem Anästhesisten.«
    Ich verzog den Mund zu so etwas Ähnlichem wie einem Lächeln, das aber ganz sicher nicht echt gemeint aussah.
    Vertrauen – schön wär’s! Ich wusste, wie es in Operationssälen so zuging. Ein Freund von mir, der als Chirurg tätig ist, zeigte mir einmal eine unfassbare Sammlung von Bildern, die er und seine Kollegen während verschiedenster Eingriffe mit dem Patienten geschossen hatten – dem sedierten, bewusstlosen Patienten wohlgemerkt, der wie ein Sack alter Kartoffeln auf dem Tisch lag, in vermeintlich friedlicher Ruhe. Da wurden schlappe Arme angehoben und in die Kamera gewunken, da wurden Peace-Zeichen aus kraftlosen Fingern geformt, da wurde an Füßen gekitzelt und auf wabbeligen Oberschenkeln Tic-Tac-Toe gespielt. Mir machte keiner was vor. Ich wusste genau, was Sache war.
    »Ich habe, gerade bei jungen Frauen, niemals eine Betäubung gelegt, wenn nicht mindestens eine andere Person im Raum war. Man hört ja da die schlimmsten Geschichten, von Vergewaltigungen und unsittlichen Berührungen im Tiefschlaf. Das darf man in meinem Beruf nicht außer Acht lassen.«
    Also bitte! Was redete der denn für einen Unfug? Und wohin

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