Aerztekind
hatte.
Ein Kind hatte ich auch nicht, also bot sich auch nicht der Gang zum Pädiater an. Würde jedenfalls komisch wirken, so ohne Kind beim Kinderarzt. Schade, denn Kinder wären für mein Vorhaben natürlich prädestiniert gewesen. Sie verschlucken gern Dinge, die sie besser nicht verschlucken sollten, haben unerklärlich oft und unerklärlich hoch Fieber oder legen ihre kleinen Hände auf heiße Herdplatten. Da ich aber kein Kind hatte, das sich dazu entschloss, dem Lego-Männchen den Kopf abzubeißen (das Plastikteil aus der Luftröhre wieder herauszubekommen ist ein sehr langer und umständlicher Prozess, der mit Sicherheit mit vielen Nachuntersuchungen verbunden ist und während dem ich idealerweise schon die persönlichen Vorlieben meines behandelnden Kinderarztes und zukünftigen Ehemanns hätte kennenlernen können), musste ich umdisponieren.
Ich überlegte. Prinzipiell eigneten sich Krankheiten, die den Verdauungsapparat oder den Magen betreffen, für mein Vortäuschungsmanöver, allerdings erinnerte ich mich daran, dass die wenigsten Internisten zu den wirklich rasant spannenden Männern gehören. Außerdem müsste ich, um eine glaubhafte Diarrhöe vorzutäuschen, mindestens hundert Milliliter reines Olivenöl (kaltgepresst) auf nüchternen Magen trinken oder mehrere Kilo Sauerkraut vertilgen, damit Darmgeräusche und Flatulenz gewährleistet werden können. Liebe geht zwar angeblich durch den Magen, aber Verführung sieht in meiner Vorstellung eindeutig anders aus!
Krankheiten, die als Symptom Erbrechen beinhalten, wollte ich unbedingt vermeiden. Sie sind zwar leicht herbeizuführen, so etwa durch übermäßigen Alkoholkonsum am Vorabend, gelten aber als hochgradig unattraktiv. Kein Mann dieser Welt, nicht einmal ein Arzt, flirtet gern mit einer Frau, die sich gerade auf sein Klemmbrett übergibt.
Von der Orthopädie, meiner ursprünglichen Überlegung, kam ich auch bald wieder ab, da meine Wirbelsäule ganz normal gebaut war und nicht die Form des Formel-1-Parcours von Monaco vorwies und selbst meine Zehen wie normale Zehen und nicht wie ein orthopädischer Befund aussahen.
Ich grübelte – wie weit würde ich im Notfall gehen? War mir jedes Mittel recht? Würde ich mir den Arm brechen oder die Nase einschlagen lassen, um an mein Ziel zu kommen?
Das hätte natürlich, gerade im letzteren Fall, den enormen Vorteil, einen Schönheitschirurgen kennenzulernen. Ein ästhetisch-plastischer Eingriff hat den erfreulichen Nebeneffekt, dass sich der Einsatz – so oder so – lohnen würde. Bei der Auswahl meines Schönheitschirurgen musste ich jedoch penibel darauf achten, dass er nicht im außereuropäischen Ausland arbeitete oder der betreuende Arzt des Jackson-Clans war. Es sei denn, man stand auf den gruseligen Look von La Toya, Michael und Janet.
Der entscheidende Nachteil von Operationen im Allgemeinen ist natürlich, dass sie nur wenig gemeinsam verbrachte Zeit, zumindest b ewusst gemeinsam verbrachte Zeit, beinhalten. Das Flirten kann durch die unangenehme Tatsache beeinflusst werden, dass man im Idealfall während der Operation in Narkose liegt und die darauffolgenden Tage nur sabbernd und vor Schmerzen stöhnend in einem modisch inakzeptablen Krankenhausleibchen verbringt. Den Gang zum Schönheitschirurgen schloss ich deswegen – wenn auch mit einem weinenden Auge – aus.
Vielleicht sollte ich das mit den Operationen ganz bleiben lassen und mich stattdessen auf die Psychotherapeuten konzentrieren. In einer Therapiesitzung sind tiefschürfende Gespräche, ständiger Blickkontakt und – wenn die Übertragung so richtig gut funktioniert – auch Berührungen gang und gäbe. Einen geeigneten Psychoknacks würde ich sicherlich auch schnell finden: Ich könnte über die Macken meines Vaters sprechen. Obwohl, nein, dann würde mein Zukünftiger einen Ödipuskomplex vermuten, das war unsexy. Also besser über die Macken meiner Mutter. Und notfalls über meine eigenen.
Während ich mich immer tiefer in derlei Überlegungen verwob, fand mein zehnjähriges Jubiläum zum Abitur statt. Mit Schrecken stellte ich fest, dass ich seit der Hochschulreife allgemein fünfzehn Kilo schwerer und nur peripher erwachsener geworden war. Einen Freund hatte ich nicht, und das mit dem Job nach dem Studium sah auch eher düster aus. Mir war aber zu Ohren gekommen, dass einige meiner ehemaligen Schulkameraden Medizin studiert hatten! Also nichts wie hin – schlimmer, als von meinem Vater verkuppelt zu werden, konnte
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