Aerztekind
abgesehen, wieso war es nie mein Traum gewesen, Menschen zu heilen? Wenn es nur meine Abscheu gegen das Betatschen von Fremden gewesen wäre, hätte ich ja auch Psychiater werden können. Oder Anästhesist. Weniger Kontakt kann man zum Körper des Menschen fast nicht haben, als wenn man auf der langweiligen Seite des OP -Tuchs sitzt, Kreuzworträtsel löst und ab und an am Lachgashebel dreht.
Was mir aber schon immer nicht an der Vorstellung gefallen hat, Ärztin zu werden, ist die Tatsache, dass Mediziner in der Regel kein Privatleben haben. Und wenn sie doch eines haben, dann verdienen sie schlecht. Obwohl ich zugeben muss, dass »schlecht« in diesem Zusammenhang sehr relativ ist.
Selbst mit dem Zynismus, den der Mediziner in Reinform gern und häufig pflegt, käme ich eigentlich ganz gut klar. Ich habe kein Problem damit, wenn Chirurgen anstelle von »Blutkonserve« vom »Rotwein des Hauses« sprechen oder mir mein Vater, bevor er mir bei einem akuten Migräneanfall eine Infusion legt, wie ein Oberkellner im Restaurant das Etikett des Natriumchloridbeutels zeigt und sagt: »Ein guter Jahrgang.« Im bescheidenen Maße finde ich das sogar lustig – je nachdem, wie hoch mein eigener Leidenfaktor in dem Fall ist. Dass Ärzte hirntote Patienten von Zeit zu Zeit als Vegetables bezeichnen, ist moralisch vielleicht etwas fragwürdig, grundsätzlich finde ich es aber wünschenswert, wenn man trotz allem Elend, das man den ganzen Tag sieht (und behandelt), seinen Humor nicht verliert. Klar, der Spruch »Krebs ist eine natürliche Kolonialmacht« darf wirklich nur von Onkologen im Rahmen eines Krebskränzchens mit anderen Kollegen verwendet werden – die wissen immerhin, wovon sie sprechen. Mein Vater, ein Medizyniker par excellence, kann sich königlich über die jährlich verliehenen Darwin Awards amüsieren, bei denen Menschen, die auf besonders dämliche Weise ums Leben gekommen sind, posthum mit einer fragwürdigen Auszeichnung bedacht werden. Er sagt dann immer: »Die Evolution macht halt keine Gefangenen!« Zugegeben, das ist aber auch wirklich komisch. Am mangelnden Humor kann es bei mir also nicht liegen, warum ich mich von Arztpraxen und Kliniken so fern wie möglich halte.
Aber dieser Gottkomplex, mit dem Ärzte immer rumlaufen, diese eigene hochwohlgeborene Meinung, nichts und niemand, nicht einmal der eigene bescheidene Sachverstand, könne einen davon abhalten, immer und überall das Richtige zu tun. Während ich mich seit Anbeginn der Zeit immer wie ein Hochstapler fühle und Angst habe, dass irgendjemand kommt und mir das Abi aberkennt, weil ich in der Bioklausur bei Jan Hofstädter abgeschrieben habe, deswegen nachträglich nicht zum Studium zugelassen werde, mein Hochschulabschluss futsch ist und ich tatsächlich einmal in der Gosse lande (und zwar ohne Ausbildung), reagierte mein Vater auf die Frage, die ich ihm einmal stellte, ob er sich denn noch nie in seinem Leben unsicher gewesen wäre bei dem, was er tue, mit einem profanen: »Nö.«
»Und was ist mit den Patienten, die du falsch behandelt hast? Deren Krankheit du nicht erkannt hast und die deswegen gestorben sind?«
»Also erstens hat jeder Arzt ein paar Leichen im Keller. Das ist die natürliche Auslese.«
Oh mein Gott.
»Und zweitens gehört das dazu, zum Arztberuf. Ein bisschen Schwund ist immer. Glücklicherweise erfährt man ja recht selten davon, wenn man wirklich was verbockt hat. Die meisten Patienten kommen ja auch nicht wieder, um sich zu beschweren.«
Rührt diese leicht fatalistische Weltanschauung daher, dass Ärzte ab und an tatsächlich einem Menschen das Leben retten, zumindest aber Tipps und Kniffe kennen, um den werten Patienten vom Abnippeln abzuhalten?
Ich erinnere mich an einen schönen Tag im vorletzten Sommer, da saßen ich und meine Schwester Anne gerade im Haus meiner Eltern beim Mittagessen, mein Vater war in der Praxis, während meine Mutter uns den neusten Klatsch aus der Nachbarschaft aufbrühte.
Plötzlich hörten wir unten auf der Straße panische Schreie. »Doktor Wittmann! Doktor Wittmann!«
Wir sahen aus dem Fenster hinaus auf die Straße, wo ein Mann auf dem Bürgersteig lag, sein Gesicht dunkelrot angelaufen, seine Beine seltsam zuckend. Eine Frau, vermutlich seine eigene, kniete über ihm und schlug ihm hilflos und verzweifelt gegen die Wangen. Immer wieder sah sie zu unserem Haus rüber und rief den Namen meines Vaters.
Und dann kam er plötzlich. Wie ein geölter Blitz schoss er um die Ecke,
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