Aerztekind
machen würdest, wäre das klasse. Danke. Und Amen.«
Dann zog ich am ersten Ring. Nichts passierte. Ich drehte vorsichtig daran, aber der Ring bewegte sich keinen Millimeter, nur die kalte Haut darunter rutschte bei jeder Bewegung von links nach rechts. Ekelhaft.
»So geht das nicht«, murmelte ich und probierte es mit dem nächsten Ring. Auch der saß bombenfest an Tante Erikas totem Finger.
»Brauchen wir Glitschmittel!«, zischte die Frau vom Sozialdienst und hastete vor in die Küche. Nach wenigen Augenblicken kam sie mit einer Flasche Olivenöl zurück und schmierte Tante Erikas Hände großzügig damit ein. Beim ersten Ring funktionierte das Prozedere. 999 Karat, immerhin, nicht schlecht für den Anfang. Beim zweiten Ring klappte unsere Leichenschändung schon nicht mehr so gut, weshalb ich schließlich die Hand festhielt und die Frau vom Sozialdienst am Ring zog. Nach einigem heftigem Ruckeln und beherztem Ziehen meinerseits knackte es einmal laut, dann fiel die Frau vom Sozialdienst rückwärts vom Bett. Als sie wieder auf die Beine kam, hielt sie den Ring in den Händen.
»Sie haben Frau Erika die Finger gebrochen!«, zischte sie mich feindselig an.
»Sind Sie verrückt?«, rief ich entsetzt zurück. »Wenn überhaupt, dann haben wir ihr zusammen den Finger gebrochen, nur dass das mal klar ist! Und überhaupt, was tut das zur Sache – sie ist tot, das haben Sie doch selbst gesagt!«
In diesem Moment sah ich aus dem Augenwinkel, dass meiner alten Erbtante Erika plötzlich der Mund offen stand. Ich erschrak mich zu Tode und sprang panisch in die hinterste Zimmerecke zwischen die Inkontinenzwindeln und das Ersatzbettzeug.
»Keine Angst«, sagte die Frau vom Sozialdienst nun etwas freundlicher, »ist nur Anfang von Totstarre. Müssen wir zubinden die Mund.«
Mit weit aufgerissenen Augen sah ich dabei zu, wie die Frau von der Sozialstation nach einer Mullbinde griff und den Kiefer von Tante Erika vorsichtig nach oben klappte. Dann wickelte sie den Stoff ein paar Mal um Kopf und Unterkiefer der Leiche, sodass es aussah, als habe Tante Erika schlimme Zahnschmerzen.
Bis zum Morgengrauen hielten die Frau vom Sozialdienst und ich Totenwache an Tante Erikas Bett. Wir tranken dabei den restlichen Geheimvorrat Sherry leer, den Erika in ihrem Nachttisch vor uns versteckt gehalten hatte, und aßen die letzten Tafeln Schokolade auf.
Als es endlich Zeit war, den Notarzt anzurufen, damit er zur Leichenschau kommen konnte, rief ich auch meine Eltern in Italien an.
»Hallo Mama!«
»Ciao, ciao! Was ist los?«
Ich zögerte. »Ich muss dir was sagen.«
»Ja, aber beeil dich«, forderte meine Mutter, »du weißt doch, is’ teuer, das Roaming.«
»Also, es ist so …« Ich setzte eine dramatische Kunstpause. »Erika ist gestorben.«
»Jetzt hör mir mal zu«, sagte meine Mutter, und sie klang wirklich böse, »für deine schlechten Witze habe ich jetzt gar keinen Nerv!«
Und dann legte sie auf.
Erstaunt, aber auch ein wenig beunruhigt legte ich das Telefon auf die Gabel.
»Was ist los?«, fragte Juliane, die sich aus Pietät über Erikas überraschendes Ableben verlegen, aber nicht unbedingt traurig an den Augen herumtupfte.
»Sie hat aufgelegt«, sagte ich.
»Bitte was?« Anne, die Jüngste, fing an zu heulen. »Da lassen sie uns schon mit der Alten allein, und dann … und dann …«
Bevor sie weiterzetern konnte, klingelte das Telefon. Ich hob ab.
»Hallo, Mädels, hier ist der Papa. Die Mama sagt, dass ihr sagt, dass Erika gestorben ist. Stimmt das?«
Ich stellte den Lautsprecher an, damit meine Schwestern mithören konnten, und bejahte.
»Na. Das ist ja ein Ding. Sensationelle Leistung. Muss man ihr anrechnen, wirklich. Na ja, ich merke, ihr habt das alles im Griff. Legt die Beerdigung bitte nicht auf nächste Woche, wir kommen erst am nächsten Sonntag heim. Und sucht schon mal nach dem Testament! Wäre doch gelacht, wenn sie wirklich alles der Kirche vermachen würde …«
Juliane, Anne und ich inspizierten, nachdem wir die verschiedenen Phasen der Trauer im Eilschritt hinter uns gebracht hatten, die Kisten mit den persönlichen Unterlagen von Erika auf der Suche nach einem geheimen Testament, in dem sie mir alles zusprach. Wir fanden stattdessen die umfangreiche, in Schuhkartons verpackte Briefkorrespondenz mit einem italienischen Bischof. Man musste kein Verschwörungstheoretiker sein, um zwischen den Zeilen herauszulesen, dass die beiden nicht nur durch das Band der ewigen Liebe zu Gott
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