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Aerztekind

Aerztekind

Titel: Aerztekind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Wittmann
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tun, als hätte sie das Ei des Columbus gefunden. Neben der Beschäftigungstherapie, die die Doktorarbeit für meinen Vater darstellen könnte, bin ich aber auch erleichtert. Nicht nur er versucht, aus der Situation (auch monetär) das Beste zu machen, ich bin schriftstellerisch in bester Gesellschaft. Ob er sich auch wenigstens ein kleines bisschen schäbig vorkam, als er an seine Doktorarbeit dachte, während wir uns um ihn sorgten? Mir jedenfalls erging es so, während mein Vater sich noch in China Sauerstoff in die Nase blasen ließ und ich die ersten Seiten dieses Buches schrieb.
    Das ist jetzt zum Glück vorbei. Vor meinem inneren Auge sehe ich meinen Vater durch die Tagungssäle der Republik tingeln und Vorträge halten. Er wird ein Buch mit dem glorreichen Titel Wasser ist Leben schreiben und so berühmt werden wie Al Gore. Vielleicht wird er sogar Wasserbotschafter und baut mal einen Brunnen in Ruanda. Und in spätestens einem Jahr werden sich unsere beiden Veröffentlichungen an der Bestsellerliste um Platz eins schlagen, wir werden reich und glücklich und in Zukunft so viel Wasser haben, dass die internationale Gemeinschaft Anleihen bei uns kaufen muss. Klingt gut. Wir haben einen Plan.
    Fehlt nur noch der Hauptdarsteller, um die Idee in die Tat umzusetzen.

6. Der italienische Patient
    Als das Wochenende-Ende endlich naht und es nur noch einen Tag dauern wird, bis wir auf dem chinesischen Generalkonsulat das Visum für Mama beantragen können, telefoniere ich mit meinem Vater. Er klingt immer noch angeschlagen, und seine Stimme zittert leicht, als er mich begrüßt.
    »Hallo mein Schatz«, haucht er ins Telefon, und ich weiß nicht, ob das an der Lungensache oder an der Melancholie liegt, hoffe umständehalber aber auf Letzteres. »Mir geht’s ja schon so viiiiel besser.«
    »Hört man«, sage ich, und gebe mir keine Mühe, meine Stimme nicht ironisch klingen zu lassen. »Wem willst du das denn weismachen, mir oder dir?«, frage ich.
    »Ach, Caro«, seufzt mein Vater, und ich höre ihm an, dass es wirklich die Melancholie ist. »Du, da fällt mir was ein«, sagt er plötzlich mit einem strengeren Tonfall, »ich hab gehört, dass Mama nach Shanghai kommen will! Das ist aber wirklich Quatsch!«
    Alles klar, auf dieses Gespräch bin ich vorbereitet. Ich habe gewusst, dass das kommen wird, dass er darauf besteht, ein großer Junge zu sein, der keine Hilfe braucht und erst recht – Gott bewahre! – keine Betreuerin, die ihm das Händchen hält. Deswegen und weil ich meinen alten Herrn nun auch seit ein paar Jahren kenne, weiß ich, was ich zu sagen habe.
    »Papa, jetzt hör mal zu.« Ich lasse keinen Widerspruch zu. Das ist beschlossene Sache. Mein Mantra ist super. »Wir haben das hier gemeinsam beschlossen. Wir schicken Mama doch nicht nach China, damit sie deinen Rollstuhl schiebt. Wir erwarten, dass du dich wie ein vorbildlicher Patient erholst und in ein paar Tagen wieder selbst laufen kannst. Und falls du doch einen Rollstuhl brauchst, dann schiebst du ihn gefälligst selbst. Wir haben uns das genau überlegt. Wenn eine von uns am anderen Ende der Welt um eine Nahtoderfahrung reicher wäre, fänden wir es schön, wenn jemand aus der Familie die Mühen auf sich nehmen würde, eine Woche Gratisurlaub auf deine Kosten zu machen. Und außerdem: Irgendjemand muss ja darauf aufpassen, dass du da unten keinen Scheiß baust. Und bislang bin ich von der Vorstellung nicht überzeugt!«
    Rums. Ich fand mich gut. Ich klang genau wie … ja, genau wie mein Vater! Ironisch, bestimmt und vollkommen resistent gegenüber sentimentalem Gemurmel.
    Mein Vater stellt sein Murren deswegen postwendend ein, und wir können zum heiteren Teil der Unterhaltung übergehen.
    »Ist dir eigentlich langweilig?«, frage ich.
    »Och nein, das geht«, sagt mein Vater. »Ich bin ja so ein vorbildlicher Patient.« Er kichert. »Und schlafe ganz viel. Und außerdem bekomme ich jeden Morgen Besuch von Frau Häberle.«
    »Wer ist denn das?«
    »Das ist eine der weltreisenden Passagiere, die ich beim Ausschiffen in Shanghai mit einer schweren Lungenentzündung in dieses Krankenhaus hier eingewiesen habe. Am Anfang wollte ich ja nicht, dass sie weiß, dass ich hier bin. Ich bin auf dem Schiff immerhin der dritthöchste Offizier! Die kennt mich nur in Uniform, die soll mich nicht im Leibchen sehen. Und so mit hinten offen und so.«
    »Papa!« Das ist mal wieder typisch. »Sei doch froh, dass wenigstens einer Deutsch mit dir spricht!«
    »Bin

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