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Aerztekind

Aerztekind

Titel: Aerztekind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Wittmann
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ich ja auch«, gibt Papa zu, »und Frau Häberle ist auch viel netter als die junge Krankenschwester, die neben meinem Bett Sitzwache hält.«
    »Bitte was?«, frage ich. »Weiß das Mama?«
    »Jaahaa, weiß sie.«
    Ich hake nach. Mein Vater hat Damenbesuch in Shanghai, während wir hier hocken und die Zeit zwischen unseren Händen so langsam zerbröselt, dass wir fast wahnsinnig werden. »Aber wieso sitzt die da?«
    Jetzt wird Papa kleinlaut. »Na ja, wegen der ganzen Druckverbände. Ich kriege doch Blutverdünner, und zwar nicht zu knapp, und aus den Einstichlöchern der Nadeln sprudelt’s nur so.«
    »Das ist ja ekelhaft.«
    »Findet Frau Häberle nicht«, sagt mein Vater. »Und weißt du, was die gesagt hat, als sie mich gesehen hat? ›Na, dass ich Sie noch mal treffe, hätte ich nicht gedacht, Herr Doktor, und dass es Ihnen noch beschissener geht als mir, erst recht nicht!‹«
    Ich erfahre, dass Frau Häberle achtzig ist und aus dem Stuttgarter Raum kommt. Mittlerweile lässt sie sich jeden Tag in ihrem Rollstuhl in das Stockwerk über ihrer Station bringen und besucht meinen Vater, der sein Bett nicht verlassen darf, um mit ihm ein bis zwei Stündchen zu plaudern.
    »Und heute haben wir uns zum Mittag eine Pizza geteilt!«, erzählt mein Vater stolz. »Nur trinken mag ich immer noch nicht.«
    Aha. Mein Alter nippelt fast ab, weil er zu wenig getrunken hat, und kaum auf dem Weg der Besserung nimmt er wieder die Abkürzung? Ich glaube, es hackt!
    »Darf ich fragen, warum?«
    »Ach, die elende Urinflasche. Ich darf ja nicht aufstehen. Und in die Flasche pinkeln, also nein, das finde ich ganz schlimm.«
    »Schlimmer als sterben?«
    Mein Vater schweigt. Gut, dass wir das geklärt haben.
    »Ach so, ja, noch eine Frage«, setze ich nach, jetzt, wo der Fisch im Netz ist, »wieso hast du das Schiff eigentlich nicht früher verlassen? Wieso bist du nicht schon in Australien von Bord gegangen und hast dich da behandeln lassen?«
    »Weil man so was nicht macht.«
    Ich bin mal wieder sprachlos. »Was nicht macht? An Bord abkratzen?«
    »Früher von Bord gehen! Die Kreuzfahrtreisen sind ja ein bisschen in Verruf gekommen in den letzten Monaten – erinnerst du dich an das Unglück der Costa Concordia vor der sardinischen Küste?«
    »Aber Papa! Das Schiff ist gesunken! Und du warst krank, du hattest Herzrhythmusstörungen, Himmelherrschaft noch mal!«
    »Nein«, mein Vater bleibt stur. Das muss er von mir haben. »Von Bord gehen, das ist inakzeptabel. Das machen nur die Italiener!«

7. Nach Hause
    Einen Tag später, am Montag, fuhr ich mit meiner Mutter nach Frankfurt zum Generalkonsulat von China, wir zogen ein Nümmerchen und stellten uns dann in eine Reihe mit sehr, sehr vielen sehr, sehr kleinen Chinesen. Um Punkt dreizehn nach neun öffnete sich der erste Schalter: KASSE . Aha, die Chinesen hatten sich an das deutsch-bürokratische System also schon gewöhnt. Sie waren erfolgreich assimiliert – ich meine: integriert. Bis halb zehn hatten noch zwei weitere Schalter geöffnet, meine Mutter und ich standen mit der spektakulären Nummer 007 in der Hand wie die Deppen an, während sich die kleinen Chinesen alle vordrängelten und hektisch plappernd Formulare unter der Glasscheibe durchschoben.
    »Heute früh habe ich mit Papa gesprochen«, sagte meine Mutter auf einmal. »Er hat etwas ganz Seltsames zu mir gesagt.«
    Oje. Bestimmt was Sentimentales! Ich konnte mir schon denken, dass ihm jetzt, wo er einen kurzen Blick auf die Himmelspforte hatte werfen dürfen (zumindest durch eines dieser kostenpflichtigen Ferngläser, die immer vor Sehenswürdigkeiten stehen), klargeworden war, was er an uns hatte, wie sehr er uns liebte und wie unermesslich froh er war, wenn er wieder bei uns sein konnte.
    »Er will, dass ich Nutella mitbringe. Das chinesische Frühstück bekommt ihm nicht.«
    »Aber Papa mag doch gar kein Nutella!«
    »Tja …« Meine Mutter lächelte weise. »Sieht so aus, als ob sich einiges ändert. Er hat zum Beispiel auch gesagt, dass er sich freut, dass ich am Donnerstag komme!«
    Na also. Hatte mein kleiner Einlauf also doch geholfen. Wenn auch nur im übertragenen Sinn. Die Sache mit der Urinflasche durfte er auch weiterhin schön allein machen.
    Wir warteten und warteten und warteten, und in jeder Minute, die quälend langsam verstrich, kam ich mir mehr wie Jim Knopf vor, der mit Lukas, dem Lokomotivführer, versucht, am Oberbonzen Pi Pa Po vorbei zum Kaiser von China zu kommen. Als wir dann irgendwann

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