Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aeternum

Aeternum

Titel: Aeternum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Bottlinger
Vom Netzwerk:
Irgendwie. Als sie fortfuhr, bemühte sie sich, jegliches Zittern aus ihrer Stimme zu verbannen. »Wir machen es so. Ich kehre lebend aus diesem verdammten Krater zurück, und du findest möglichst schnell Nachaschs wahren Namen heraus, damit wir sie loswerden können, bevor sie etwas Neues versucht. Und falls du eine Idee hast, die meine Überlebenschancen erhöhen könnte, werde ich alles tun, was nötig ist. Keine Beschwerden, kein Streit. Du hast mein Wort.«
    Halb rechnete sie mit einer wütenden Reaktion, weil sie es wagte, ihm vorzuschreiben, was er tun sollte. Doch dann sah sie aus dem Augenwinkel, dass Balthasar lächelte. Unwillkürlich fühlte sie sich an ein im Wasser lauerndes Krokodil erinnert. Sie selbst war das Gnu, das arglos zu dicht ans Ufer getreten war. Hatte sie soeben ein Versprechen gegeben, das sie noch bereuen würde?
    »Ich hätte nicht gedacht, dass sich deine Sturköpfigkeit einmal als nützlich erweisen würde.«
    Für den Rest der Fahrt verfiel Balthasar in nachdenkliches Schweigen.

5
    K ühle Abendluft strömte in Juls Zimmer, eine Erleichterung nach der Hitze des Tages und ein Grund, das Fenster trotz des Verkehrslärms nicht zu schließen. Aber er konnte die Kühle kaum würdigen. Jul lief wie ein gefangener Tiger zwischen Schreibtisch und Bücherregal auf und ab. Schlaf benötigte er nicht, doch selbst wenn das der Fall gewesen wäre, hätte er keine Ruhe gefunden. Etwas ging in der Welt vor, aber er fand einfach nicht heraus, was.
    Zum hundertsten Mal sah er zu der großen Weltkarte hinüber, die seit dem Tag des ersten Bebens fast eine gesamte Wand seines Zimmers einnahm. Karin hatte ganze Arbeit geleistet, getan, was sie am besten konnte, Informationen beschafft. Das Ergebnis ihrer Bemühungen zierte die Karte in Form unzähliger roter Punkte. Sie waren umso größer, je größer die Wellenerscheinung an dem entsprechenden Ort gewesen war. Nach einer Weile hatten sie es aufgegeben, die ganz kleinen einzutragen. Flimmernde Flecken, wie Jul sie in dem U-Bahn-Tunnel gesehen hatte, gab es zu Tausenden in den meisten Teilen Europas.
    Was blieb, wenn man die kleinen Erscheinungen wegließ, erinnerte an die Oberfläche eines Sees, in den man einen Stein geworfen hatte. Um den Einschlagspunkt waren die Wellen am höchsten, zum Rand hin verliefen sie sich. Ein metaphorischer Stein war in die Welt eingeschlagen, und zwar genau in Berlin auf dem Alexanderplatz.
    Jul blieb stehen und starrte die Ansammlung roter Flecken auf der Karte an, als könne er ihnen mit purer Willenskraft ihr Geheimnis entreißen. Karins Versessenheit, dieses Rätsel zu lösen, hatte längst auch von ihm Besitz ergriffen.
    Doch das war gar nicht so leicht, denn der Alexanderplatz war besser abgeriegelt als der Hochsicherheitstrakt manch eines Gefängnisses. Es hatte genau einen Versuch gegeben, nach Verschütteten zu suchen. Die Feuerwehrleute und Sanitäter waren nie zurückgekehrt. Angeblich schwelten unter den Trümmern Brände, die man nicht löschen konnte. »Die schlechteste Ausrede des Millenniums«, wie Karin es nannte. Gebäude gingen nicht in Flammen auf, wenn sie einstürzten.
    Jul streckte die Hand aus, fuhr den großen roten Punkt direkt über Berlin nach.
    Irgendetwas schwelte tatsächlich unter der Stadt. Etwas Unheilvolles. Es hatte weitere Beben gegeben. Kleine nur, die keinen Schaden angerichtet hatten, doch sie waren eine konstante Erinnerung daran, dass irgendetwas nicht stimmte. Selbst die niederen Dämonen krochen kaum mehr aus ihren Löchern. Seit Tagen starrte Jul seine Karte an und fragte sich, ob dieses Geschwür roter Flecken immer weiter wachsen würde, bis es schließlich die ganze Welt verschlang.
    Sorge nagte an ihm. Inzwischen ein vertrautes Gefühl. Wie ein Klumpen lag sie in seinem Magen. Mehr denn je wünschte er sich die alten Zeiten zurück, die absolute Sicherheit, dass alles seine Richtigkeit hatte. Damals war irdisches Leid für ihn bedeutungslos gewesen, ein Teil eines größeren Plans. Doch nun … Es waren nicht nur die neuen Gefühle. Es lag auch daran, dass die Menschen keine gesichtslose Menge mehr für ihn darstellten. Der Klumpen in seinem Magen wurde schwerer, wenn er an Karin dachte. Daran, dass ihr unbeschwertes Lachen versiegen würde, wenn die Katastrophe über sie hereinbrach.
    Das Rauschen von Schwingen riss ihn aus den Gedanken. Er wirbelte herum, sah schwach glimmende Federn. Ein Engel hockte auf dem Fensterbrett, wirkte ungewohnt in seiner einfachen

Weitere Kostenlose Bücher