Aeternus - Eisiger Kuss: Roman (German Edition)
T-Shirt. Eine merkwürdige Wahl. Er schien es zu bevorzugen, gut auszusehen, statt etwas Praktisches zu tragen. Der Junge drehte den Kopf hin und her, hüpfte auf und ab und schüttelte Arme und Beine aus.
Antoinette kicherte in sich hinein. Er mochte glauben, auf alles vorbereitet zu sein, aber er würde einen heftigen Dämpfer verpasst bekommen. Der Student, der in einer Klasse das größte Potenzial zeigte, war immer der Erste, der bei einer Übung den anderen zeigen musste, dass Talent nicht immer eine Garantie für Erfolg war. Die Tradition der Akademie, an den Besten und Hellsten ein Exempel zu statuieren, wurde den neuen Studenten natürlich verheimlicht.
Auch Antoinette war die Beste in ihrer Klasse gewesen. Wegen ihrer Unnahbarkeit war sie bei ihren Mitschülern nicht sehr beliebt gewesen, und das Versagen vor ihren Augen war die erniedrigendste Erfahrung, die sie je durchgemacht hatte. Aber es hatte sie gelehrt, dass sie niemals zu selbstsicher sein und nichts als gegeben hinnehmen durfte.
Einige der Bildschirme zeigten zwei verschiedene Ansichten – und auch eine Infrarotaufnahme. Eine Tür auf der anderen Seite der Arena wurde geöffnet, und eine dunkle Gestalt schlüpfte hinein. Antoinette konnte nicht erkennen, ob sie weiblich oder männlich war, denn sie trug eine Jacke mit übergezogener Kapuze, doch ihre Schnelligkeit sowie die Art, wie sie sich bewegte, machte deutlich, dass es sich nicht um einen Menschen handelte. Dann begriff sie, dass es dieselbe Kapuzenjacke mit dem verblassten Schriftzug war, die der Drenier draußen in dem Käfig getragen hatte.
Sie rückte auf ihrem Stuhl vor. Sicherlich würden sie einen unreifen Jungen nicht mit einem echten Drenier zusammensperren. Das wäre Wahnsinn. Das wäre – Mord. Sie versuchte aufzustehen, aber Lucian legte ihr die Hand auf den Unterarm.
»Hatten Sie nicht gesagt, dass es sein erstes Mal ist?«, flüsterte sie.
»Ihm wird nichts passieren.« Lucian schob sein Gesicht näher an sie heran. »Vertrauen Sie mir.«
Vertrauen. Sie vertraute nie jemandem, der nicht zu ihrer Familie gehörte, und dieser Mann war ein vollkommen Fremder für sie. Aber … etwas in seiner Stimme und seinem Gesichtsausdruck führte dazu, dass sie sich entspannte. Sie hatte den Eindruck, ihn schon länger zu kennen als die kurze Zeit, die sie bisher miteinander verbracht hatten. Und sicherlich würde niemand es zulassen, dass der Junge so früh in seiner Ausbildung zu Schaden kam. Sie setzte sich auf ihrem Stuhl zurück, hatte aber noch immer ein seltsames Gefühl in der Magengegend.
Das Gesicht des Jungen schwebte überlebensgroß auf dem Bildschirm unmittelbar über der Arena. Sein selbstgefälliges Grinsen war deutlich zu sehen, als er sein hölzernes Übungsschwert schwang. Es war nicht einmal einerichtige Waffe, und dabei würde er sich gleich einem Drenier gegenübersehen! Als die dunkle Gestalt wenige Schritte vor dem Jungen aus dem Schatten trat, beugte sich Lucian vor. Antoinette hielt den Atem an.
Es war eine Drenierin mit der typischen Nervosität eines Abhängigen, der nach dem Todesschuss giert. Dem Jungen war das Lächeln bisher nicht vergangen; es war sogar noch dreister geworden, als er seine Kampfposition einnahm.
Die Drenierin zischte, zeigte ihre langen weißen Fangzähne, und bevor der Junge bereit war, griff sie an. Antoinette verkrampfte sich, entsetztes Keuchen drang von den anderen Studenten herüber, als die Drenierin den Jungen auf den Rücken warf. Sie hockte sich auf seine Brust, riss ihm mit einem ihrer langen, klauenartigen Fingernägel die Wange auf und leckte das Blut mit lustvollem Schnurren ab.
Das selbstgefällige Grinsen des Jungen war verschwunden und wurde durch eine Mischung aus Grauen und Ekel ersetzt. Die Drenierin lachte, sprang von ihm herunter und verschwand wieder hinter den Kartons. Offenbar wollte sie mit ihrer Beute spielen, bevor sie sie umbrachte.
Der Junge sprang auf die Beine und hob sein hölzernes Übungsschwert auf. Die Spitze zitterte ganz leicht in seinem Griff. Er berührte seine Wange mit den Fingerspitzen, senkte sie und betrachtete die Blutschlieren, während sein Gesicht blass wurde. Dann wurde es starr – ob aus Angst oder Wut, konnte Antoinette nicht sagen.
Der Junge schüttelte seine Jacke ab. Das war das erste Vernünftige, was er tat, aber da sie an seinem Handgelenk hängen blieb, war der Effekt ruiniert. Ungeduldig fuchtelte er mit dem Arm herum. Antoinette seufzte. Es wäre besser, wenn er
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