Aethermagie
die kurze Reue war schnell verflogen, als Kato einen letzten Blick in den Spiegel warf. Sie grinste ihr Spiegelbild an, kniff ein Auge zu und stapfte zur Tür und die Treppe hinunter.
Im Salon machte sich Adelaïde gerade an dem übergroßen weißen Kostüm eines Pagliaccio zu schaffen. Sie nestelte leise schimpfend daran herum, während der Mann, der das Kostüm trug, mit hängenden Armen vor ihr stand und sich wie eine Kleiderpuppe drehen und schieben ließ.
Einen Moment lang erkannte Kato den Verkleideten nicht, fragte sich, wer da so vertrauten Umgang mit ihrer Stiefmutter pflegte, dann sorgte eine erneute Drehung dafür, dass sie dem Pagliaccio ins Gesicht sehen konnte. Kato erschrak bis ins Mark.
Traurige, stumpfe Augen blickten aus dem zur Hälfte weißgeschminkten Gesicht. Der Mund stand fragend und schmerzvoll verzogen ein wenig offen.
»Papa«, rief Kato und krallte ihre Hand um eine Stuhllehne. »Frau Mama, Sie wollen ihn doch nicht wirklich dorthin mitnehmen?«
Adelaïde zog den Gürtel der weiten Hose noch einmal enger, sagte: »So« und richtete sich auf. Sie sah Kato mit emporgezogenen Augenbrauen an. »Was dachtest du? Dass wir ausgerechnet auf diesem Ball ohne den Herrn des Hauses erscheinen? Die Gerüchte, die über deinen Vater kursieren, sind mir zu Ohren gekommen. Wir werden sie heute Abend zu entkräften wissen.« Mit unzufriedener Miene musterte sie den Freiherrn. »Simon, ein wenig Haltung, wenn ich bitten darf. Lass dich nicht so gehen.«
Der Freiherr regte sich nicht. Er stand mit hängenden Schultern da, die weiten und viel zu langen Ärmel verdeckten seine Hände, seine ganze Haltung zeugte von Trauer und Müdigkeit.
»Dr. Rados hat mir versichert, dass seine Medizin ihn ruhigstellen wird. Er wird uns schön brav begleiten und kein Aufsehen machen. Das reicht.« Adelaïde fuhr ihrem Gatten glättend über das Haar, dann setzte sie ihm den kegelförmigen Hut auf und zog die Maske hoch, die an seinem Hals gebaumelt hatte.
»Frau Mama, das ist nicht Ihr Ernst«, wagte Kato einzuwenden, aber Adelaïde griff mit einer abwehrenden Handbewegung nach ihrem Fächer, ihrer Maske und ihrem Pompadour. »Gehen wir«, befahl sie. »Hopp, hopp, mein Lieber.«
Der Freiherr setzte sich schleppend in Gang. Kato nahm seine Hand und führte ihn. »Papa«, flüsterte sie, »willst du wirklich mit uns kommen?«
Er blickte starr geradeaus und gab durch kein Zeichen zu erkennen, dass er ihre Worte vernommen hatte.
»Du brauchst noch eine Maske«, rief Adelaïde, die schon an der Haustür stand. Ihre Zofe legte ihr den Mantel um und entfernte sich dann mit einem Knicks. »Es ist ein Maskenball, Katharina, also zieh kein Gesicht. Dein schreckliches Kostüm lasse ich ja durchgehen, aber ohne Maske werden sie dich nicht einlassen.«
Kato nahm die schmucklose Halbmaske entgegen, die Adelaïde ihr reichte. Sie war aus schwarzem Leder gefertigt, und bedeckte nicht viel mehr als die Augen und einen Teil der Nase.
Die Fahrt mit der geschmückten Equipage durch die Dämmerung hätte Kato unter anderen Umständen bezaubert. Die blaue Stunde ließ die Stadt in einem ganz besonderen Licht erstrahlen. Auf den Straßen herrschte reges Treiben, und nicht wenige Passanten blieben stehen und deuteten auf ihre Kutsche und die maskierten Insassen, den livrierten Kutscher, die beiden ebenfalls livrierten Diener, die hinten auf ihrem Trittbrett standen, die prächtigen Pferde in ihrem glänzenden Geschirr.
Kato stützte das Kinn in die Hand und blickte trübsinnig hinaus. Sie näherten sich dem Michaelerplatz und dem Eingang der Hofburg, die beinahe selbst eine kleine Stadt in der Stadt darstellte.
Kutschen und Motorwagen fuhren in stetem Strom vor, Reiter stiegen von ihren Pferden, Lachen und Begrüßungsrufe, das Rascheln von seidenen Kostümen und das Rauschen großer Samtroben, glänzendes Gold, flitterndes Silber, strahlende Steine, funkelnde Pailletten, Putz und Perücken, kunstfertig bemalte Masken und nicht minder kunstvoll geschminkte Gesichter, wippende Federn und aufklappende Fächer … Der Wirbel rund um das große Portal nahm Kato den Atem. Einen erschreckten Augenblick lang fühlte sie sich in ihrem schlichten braunen Anzug vollkommen fehl am Platz innerhalb all dieses Protzes und Prunkes, aber dann steckte sie die Hände in die Hosentaschen, zog die Schultern hoch und stiefelte betont forsch hinter Adelaïde her, die ihren Gatten fest untergehakt zur Freitreppe führte.
Sie wurden eingelassen – mehr
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