Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
entsorgen.”
„So wie du den Frosch in deiner Rocktasche vergessen hattest?”, fragte Valentin.
Annabelle kicherte: „Ich bin fast zu Tode erschrocken, als er nachts anfing zu quaken.”
„Heute kann man keine Frösche mehr in den Auen fangen”, sagte Bader heiser. „Der Æther ist eine von Gott geschickte schreckliche Prüfung.” Das Letzte hatte er förmlich ausgespuckt, wie einen Schleimklumpen.
„Ich glaube, Gott hat damit nichts zu tun”, sagte Annabelle unüberlegt. Rudolf Bader und Valentin sahen sie überrascht an. Dann grinste der ältere Mann: „Ja, dein Vater hielt es auch nicht mit der Religion.” Er sagte es ein wenig abwertend.
„Ich stimme ihm da zu”, sagte Annabelle standhaft. Johanna strafte sie mit einem bösen Blick. Man sollte als Dame den Männern nicht widersprechen.
„Wo kommt der Æther deiner Meinung nach her?”, fragte Valentin.
„Das weiß ich nicht”, sagte Annabelle nachdenklich. Sie hatte oft mit Paul über die Natur des Æthers diskutiert. „Ich glaube eigentlich, dass er immer schon da war. Nur mal mehr und mal weniger. So wie es Eiszeiten gegeben hat, von denen auch niemand weiß, warum sie entstanden.”
„Gott hat den Æther geschickt, wie einst die Sintflut. Die Reinen und Guten werden diese Prüfung überstehen, und die Sünder und Schandhaften werden ausgemerzt”, sagte Rudolf Bader bitter.
Annabelle wurde ganz heiß. Was sollte das jetzt? Vorhin hatte er ihr noch versichert, dass er sie so akzeptierte, wie sie war, und nun sagte er so etwas? Sie legte klirrend ihr Besteck auf den Teller. Rudolf Bader bemerkte das und richtete sich auf: „Du bist selbstverständlich eine Ausnahme, Annabelle. Deine Gabe ist etwas Besonderes, von Gott so gewolltes, ein Geschenk, heilen zu können, wie Jesus.” Er hustete wieder. Der Anfall steigerte sich und Valentin stand auf.
„Es tut mir sehr leid, Annabelle”, sagte er und legte kurz seine Hand auf ihre Schulter, als er an ihr vorbei ging. „Mein Vater sollte sich nicht so aufregen. Ich bringe ihn auf sein Zimmer. Bitte entschuldigt uns.” Er sah sie an und sie nickte. Seine schwarzen Augen unter den tief liegenden Brauen sahen traurig aus, und er tat ihr leid. Sie sah den beiden nach, wie sie das Zimmer verließen.
„Das hast du jetzt davon”, sagte Johanna. „Musst du dich immer mit den Männern anlegen?”
„Ach, Johanna”, sagte Annabelle erregt. „Ich kann mir so einen Unsinn doch nicht anhören. Ich war mit Paul und Onkel Karl bei dem Geflügelten auf der Ebersteinburg, und du glaubst nicht, was die religiöse Spinnerei dort ausgelöst hat.”
Eine Uhr tickte leise und Annabelle sah auf die Überreste des Mahls. Ein Dienstbote räumte ab, aber sie verneinten auf seine Frage nach dem Nachtisch. Die Konversation hatte ihnen den Appetit verdorben. Sie gingen zurück zu ihren Zimmern. Johanna war immer noch eingeschnappt und schloss ihre Türe schnell. Auf dem Weg zu ihrem Zimmer blieb Annabelle an einer Kreuzigungsszene stehen. Es war ein riesiger Ölschinken, auf dem viele trauernde Menschen, waffenstarrend gerüstete triumphierende Römer und zentral der Sohn Gottes zu sehen waren.
Sie verkrampfte ihre linke Hand, und dachte: „Heilen können, wie Jesus”. Was bedeutete das? Das war furchtbar, entsetzlich, sie wollte das nicht. Es bedeutete eine monumentale Verantwortung, die sie nicht ertragen wollte. Annabelle misstraute ihren eigenen neuen Fähigkeiten zu sehr, sie hatte keine Kontrolle darüber und fürchtete die erneute Ausgrenzung.
Was sie aber hier noch weiter beunruhigte, war dieser religiöse Aspekt. Sie war seit dem Vorfall im letzten Jahr nicht mehr in der Kirche gewesen, wusste aber, dass es viele streng Gläubige gab, die es genauso wie Rudolf Bader sahen. Die Verdorbenen waren für diese Menschen Bestrafte, die es verdient hatten. Frau Barbara litt darunter, dass in ihrer Gemeinde die Gespräche verstummten, wenn sie vorbei ging. Manche wichen vor Annabelle zurück und bekreuzigten sich offen. Es gab sicher Strömungen, die das Geschehen alttestamentarisch betrachteten und sich die Inquisition wünschten. Es hatte natürlich auch schon Menschen an ihrer Tür gegeben, die sie um Heilung angebettelt hatten, aber Paul, Frau Barbara, Karl Burger und Annabelle waren sich einig gewesen, dass man diesen Nachfragen nicht entgegenkommen durfte.
Würden sie dann bald mit Fackeln vor ihrer Tür stehen, wenn sie sich weigerte, nach ihren Regeln zu spielen? Sie hörte ein Geräusch und
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