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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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ganzen Leib, vor seinen Augen tanzten feurige Kringel. Wenn ich nur hier wieder rauskomme, dachte er, ob ich das jemals schaffe? „Ja!“ entschlüpfte es ihm halblaut, und er stellte sich vor, das bosnische Mädchen Lepa Brena in die Arme zu schließen.
„Halt!“ tönte ein scharfes Kommando in die schwarze Nacht.
Der zu Tode erschrockene Fotograf wischte sich den Schweiß von Stirn und Hals, nannte stotternd seinen Namen, sein Hotel und die Einheit, der er zugeteilt war.
    „Okay, Mister Zudeck-Perron“, sagte die Stimme. „Mitkommen!“
    Anica hob ihren Kopf vom Knie, starrte auf die Ebene hinaus.
Phantome näherten sich, formten sich zu zwei Schatten, nahmen Fleisch an, wurden zu Menschen.
    „Ist er das?“ fragte der Soldat. Seine Waffe war auf die Gestalt gerichtet, die sich gegen den Nachthimmel abhob, der Finger lag am Abzug.
    „Er ist es“, antwortete sie. „Sie können das Gewehr getrost runternehmen.“ Sie bedeutete ihrem Kollegen, sich neben sie und den schlafenden Corporal zu setzen. Halblaut, stockend berichtete Zudeck-Perron, was er erlebt hatte. Sein Gesicht war blutverkrustet. Die Fotoapparate starrten vor Schmutz. Anica nahm eine Flasche Schnaps aus Nymiahs Vorrat. „Jetzt trinken Sie erst mal, Paul.“
    Er sah sie dankbar und mit um Hilfe flehenden Augen an. Sie wirkte ruhig wie immer und standhaft wie ein Fels mit dem unerschütterlichen Blick einer Ikone. Seine Augen hingegen, das wusste er selbst nur zu genau, gaben ihr sein Innerstes preis, als wären sie zwei offene Fenster zu seiner Seele.
„Geben Sie ihm lieber ein paar Maulschellen, Ma´am“, hörten sie den Oberleutnant von hinten bellen. „Ich kann keinen Besoffenen gebrauchen, wenn die Helis uns ausfliegen.“
    „Shut up!“ versetzte Anica scharf. „Kümmern Sie sich lieber um Ihre eigenen Kotzbrüder!“
    „Ich bekam die Funkmeldung“, berichtete der Oberleutnant ungerührt, „dass mit diesem Bildreporter jemand käme, der die Truppe hier übernimmt. Was ist mit ihm?“
    „Beten Sie für ihn, Mister“, stöhnte Zudeck-Perron, der bäuchlings am Boden lag und die Augen geschlossen hielt. Für dieses Mal schien er seine, für ihn fast sprichwörtlich zu nennende Gefasstheit verloren zu haben.
    Anica legte sich zu ihrem Corporal, der ein Auge aufschlug. „Wie sieht es aus, Noah?“ fragte sie mürrisch.
    „Reden Sie mit dem Vorgesetzten“, entgegnete Nymiah. „Er ist eine Persönlichkeit. Obwohl es nicht so aussieht und obwohl so was im Kriegskampf nicht immer berücksichtigt wird.“
    Das ist schlecht, wollte Anica sagen, doch stattdessen zuckte sie nur die Achseln.
    „Was meinen Sie“, fragte der Corporal, „was ist das Wichtigste an einem Kämpfer?“
    „Courage und Wahrheitsliebe“, erwiderte sie. „Auf alles Übrige kann man, wenn es sein muss, verzichten.“
    „Also, sagen wir, jemand ist mutig und ehrlich, doch ein Süffel?“
„Der Trunkenbold kennt die Wahrheit des Kampfes nicht; falls er Mut beweist, ist es Haudegeneinfalt. Doch meist ist der Trinker feige.“
    „Sehen Sie. Haben Sie eigentlich an vielen Kämpfen teilgenommen?“ fragte Nymiah.
    „Teilgenommen ist zu viel gesagt“, erwiderte Anica leicht zusammenzuckend, weil sie sich an den Legionär mit dem geschorenen Kinderkopf erinnert fühlte. „Rechnen Sie selbst zusammen: etliche Monate fast seit Beginn der Kampfhandlungen. Ausgenommen das Winterquartal und drei Wochen Afghanistan im Frühjahr. Mir kommt es so vor, als sei es nur ein einziger Kampf, der noch nicht zu Ende ist. Soll ich die Kugeln und die Granaten zusammenzählen, die neben mir eingeschlagen sind? Ich habe Kollegen, die kommen für ein oder zwei Tage, die tun dies.“
    „Kenn ich“, bestätigte der Corporal. „Hab genug gesehen, die sich den Splitter einsteckten, der neben ihnen niedergefallen ist. Ich will von niemandem etwas Schlechtes sagen, von manchem aber Gutes noch viel weniger.“
    Die Journalistin richtete die Kamera auf Nymiah.
    „Im Krieg ist alles extrem, auch der Aberglaube“, fuhr der Corporal ernsthaft fort. „Kann man jemandem verübeln, dass er an irgendetwas glaubt? Manche Jungs ziehen sich Batman-Fetische über, hab ne ganze Schwadron davon gesehen, es gibt ihnen so ne Art beknackter Witzigkeit. Andere stecken sich ein Pik-As in ihre Stahlhelmbänder. Man nimmt einem Feind, den man getötet hat, Andenken ab, quasi als kleine Kraftübertragung; man schleppt Fünf-Pfund-Bibeln mit sich herum, hängt sich Kreuze um die Hälse, Christopherusse,

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