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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Stützpunkte nervöse Zeigefinger. Zuerst wird geschossen, dann nachgeschaut, auf wen. Denken Sie daran.“
    Wie grotesk! schoss es Mary-Jo durch den Kopf. Ich soll mich in wenigen hundert Metern Entfernung an meinen eigenen Leuten vorbeischleichen, anstatt zu ihnen zu laufen. Doch sie verkannte die Gefahr nicht. Das sonderbare Mädchen hatte recht: Hierzulande wurde jetzt auf alles geschossen, was sich bewegte, ob es hilfreich war oder nicht. Da machte es selbst keinen Sinn, sich beim Überqueren der Straße ungeschickt anzustellen und Geräusche zu verursachen.
    Es dauerte eine halbe Stunde, bis das Mädchen mit ihrer Waffe das Zeichen zum Aufbruch gab. Es ging geduckt voran, und je näher sie der Straße kamen, desto vorsichtiger wurde es. Zuletzt bewegten sie sich kriechend vorwärts, erreichten eine Biegung.
    „Los, Pilotin“, sagte Brena und stieß die Gefangene leicht in die Seite. In hastigen Sätzen überquerten sie die kalte, öligglatte Asphaltdecke und sprangen in die Deckung des Straßengrabens, der Brackwasser führte und in dem sie gebückt, bisweilen auf allen Vieren, einen halben Kilometer weiterliefen. Dann stapften sie wieder aufrecht bergan. Mary-Jos Schritte wurden schwer, schließlich begann sie zu taumeln. Sie schleppte sich weiter hinter dem Mädchen her bis zu einem kleinen Kiefernwäldchen. Die Sonne schien durch die schütteren Nadeln und heizte den Waldboden auf. Mary-Jo ließ sich rücklings auf die Erde fallen, um zu schlafen.
„He“, rief das Mädchen. „Legen Sie sich nicht flach auf den Rücken.“
    „Warum nicht?“ fragte Mary-Jo.
    „Ihre Lungen halten das nicht aus.“
    „Ich verstehe nicht. Ist doch schön warm.“
    „Haben Sie denn nie Physikunterricht gehabt?“
    „Doch. Aber wo ist da der Zusammenhang?“
    „Noch fühlt sich der Nadelboden warm an. Aber schnell wird er kälter sein als Ihr Körper.“
    „Ich werde schon nicht frieren.“
    „Aber dort, wo Ihr Körper aufliegt, wird sich Kondenswasser bilden. Sie werden sich durch die Verdunstungskälte eine Unterkühlung und somit eine Lungenentzündung zuziehen. Wir haben kein Penicillin dabei, drehen Sie sich also wenigstens auf die Seite.“
    Mary-Jo folgte dem Rat und schlief sofort ein. Sie träumte von sich und ihrem Mann Burkhart, sie liebten sich hemmungslos in der Cockpitkanzel ihres Helikopters, der unendlich gegen die Sonne aufstieg.
    Als sie erwachte, lehnte sich der Sonnenball noch kurze Zeit auf den Scheitel des Berges und verschwand dann in Minutenschnelle. Ihre Begleiterin saß unweit der Schlafstelle und rauchte. Sie blickte die Pilotin an, die sich die Augen rieb. Mary-Jo fand ihren Traum bizarr und beschämend.
    „Haben Sie Hunger, Frau?“
    Mary-Jo betrachtete ihre Hände, die vor Schmutz starrten. Mein Gesicht muss genauso aussehen, dachte sie. Am ganzen Körper juckte die Haut. „Wenn ich mich waschen könnte“, antwortete sie, „würde ich gerne zwei Tage nichts essen.“
    Das Mädchen sah nicht anders aus. „Leider“, sagte es mit Bedauern in der Stimme, „gibt es hier kaum Möglichkeiten, Toilette zu machen. Aber morgen Vormittag werden wir auf sauberes Wasser stoßen. Baden im See.“ Es hielt der Gefangenen ein Päckchen hin. „Hier, essen Sie erst einmal.“
    Mary-Jo blickte erstaunt auf. Sie waren ohne Marschproviant und -gepäck aufgebrochen, abgesehen von der MP ihrer Bewacherin. Sie fragte sich, woher die Lebensmittel kamen, während sie hungrig aß und sich noch mehr darüber wunderte, dass es ihr schmeckte. Als sie satt war, reichte das Mädchen ihr eine Feldflasche mit Wasser. Derweil ich schlief und so abscheulich träumte, dachte Mary-Jo, musste jemand hier gewesen sein. Sie bedankte sich für die Verpflegung, und ihr wurde bewusst, dass sie nicht nur unter der Kontrolle ihrer Bewacherin stand.
Sie brachen auf und kämpften sich in der allmählich anbrechenden Dämmerung durch dichtes Kiefernunterholz. Mary-Jos Gedanken verirrten sich, ihr war, als schwankte alles: die leicht im Wind knarrenden Bäume, der Rücken der jungen Soldatin, die nun in der Abgeschiedenheit der zerklüfteten Landschaft unbekümmert vorausstapfte, und der Himmel mit seinen grellweißen Haufenwolken. Ihr war, als höre sie Gefechtslärm. Wenn sie sich aber auf das Geräusch konzentrierte, vernahm sie überhaupt nichts, als wäre sie taub geworden. In Wirklichkeit herrschte beinahe absolut tiefe Stille, der sie so entwöhnt war, dass sie ihr schrill und gefährlich schien.
    Auch Lepa Brena schien

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