Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
die Lautlosigkeit nicht länger zu ertragen, sie hob verhalten zu singen an:
„Mit Bomben, Gewehren und Granaten
Wird das Schlangengezücht ausgebrannt.
Das Land frei von mörderischen Piraten
Menschen Bosniens, Euch gehört dieses Land.“
Zu beiden Seiten des Weges erstreckten sich friedliche Wälder und Haine. Dieses schlichte Bild prägte sich den Frauen an diesem Tag ein fürs ganze Leben. Hinter der nächsten Biegung wurden sie ein kleines Dorf gewahr. Es lag an einem sanft ansteigenden Hang; die sattgrünen Gärten waren in das rötliche Licht der Sonnenentschwindung getaucht, auf den Dächern rauchten die Schornsteine aus den Kochfeuern, über dem Bergkamm im Hintergrund leuchtete die versinkende Sonnenscheibe. Kinder trieben Pferde für die Nacht auf die Weideplätze. Der Dorffriedhof nahm einen kleinen Hügel ein und reichte von der Straße bis fast an den Waldrand. Der Weiler war klein, der Friedhof hingegen groß. Die gesamte Anhöhe war mit Kreuzen übersät; sie waren vielfach zerbrochen oder standen schief, waren von Regen und Schnee verwittert. Dieses kleine Dorf und dieser große Friedhof, das Missverhältnis zwischen beiden, erschütterte die Amerikanerin tief. Ein heftiges, schmerzliches Mitgefühl für die Heimaterde, die von feindlichen Soldatenstiefeln zertrampelt wurde, wollte Lepa Brena schier das Herz brechen.
„Vielleicht ist der Krieg zu Ende“, sagte sie, „wenn die Gräber den Wald erreichen.“
Mary-Jo wies auf das hellbraune Band zwischen Wiesen und Wald, eine Zone gefällter Bäume. „Aber der Wald weicht zurück“, hielt sie entgegen, „weil die Bäume abgeholzt werden.“
„Dann reicht das Holz nicht mal für ihre Kreuze“, sagte Lepa Brena.
„Unter diesen Kreuzen ruhen zahllose unbekannte Vorfahren“, resümierte die amerikanische Majorin. „Großväter, Urgroßväter und Ururgroßväter, einer über dem anderen, seit Jahrhunderten schon; ich denke, dieses Land gehört Hunderte von Klaftern tief seinen Bewohnern.“
„Ja. Niemals darf solche Erde fremdes Land werden“, pflichtete das Mädchen nickend bei. „Auch wenn es sich um katholische Christen handelt. So schlimm ist es in unserem Land gekommen: Unsere Hauptfeste, Hochzeiten und Beerdigungen mit ihren traditionellen Riten und ihrer besonderen Musik, können wir schon lange nicht mehr so ausgiebig feiern wie wir es seit jeher gewohnt sind.“
Es wurde langsam Nacht, gemächlich, wie es in den Bergen Nacht zu werden pflegte: Es gab immer noch einen allerletzten höchsten Gipfel, dessen Spitzen die allerletzten Sonnenstrahlen auffingen, während aus den Waldpartien in der Flussniederung bereits die Spätsommernebel zu steigen begannen.
Im fahlen Licht des Vollmondes setzte die Bosnierin bedächtig und energisch die Füße, es kostete Mühe, doch der ihr folgenden Amerikanerin schien es, als schreite sie leichtfüßig und flink voran, mit dem sicheren Gang eines Menschen, der ein Ziel vor Augen hat und daher bereit ist, noch etliche Tage zu marschieren. Diese Art zu gehen fiel Lepa Brena nicht vollkommen leicht; von den vielen kampferfüllten Tagen war sie sehr erschöpft, sie warf die Maschinenpistole von einer Schulter auf die andere, sie atmete mit rundem Mund, und ihr schmerzten Rücken, Nacken und Schultern, alles tat weh, was nur weh tun konnte.
Ich lebe, dachte Lepa Brena, noch lebe ich.
Der frische Wind spielte auf den Nadelhölzern ein Nachtlied. Ab und zu huschte ein Jäger der Finsternis – ein Marder, eine Eule – durch die Schwärze des Waldes.
Ich lebe, dachte auch Mary-Jo, trotz allem lebe ich.
52 Die Kriegsreporterin auf Panzerfahrt
Du musst etwas tun, während du auf dein Glück wartest, war ein Lebensmotto Anicas, und so hatte sie sich, ehe es in Srebrenica endlich losgehen sollte, dem bosnischen Geleitschutz für eine UN-Delegation angeschlossen, die nach dem nahen Pale ins Hauptquartier der Serben durchzukommen versuchte. Keine zwei Kilometer hinter der Stadtgrenze von Sarajevo kam der kleine Konvoi aus mehreren sechsrädrigen Panzerwagen vor einer Anhöhe ins Stocken, als von weit oben MG-Feuer kurz aufflackerte und jäh verstummte. Von rechts erschien in rascher Fahrt ein Jagdpanzer. Am Kopf der Anhöhe, wenige hundert Meter entfernt, verlangsamte er seine Fahrt und blieb schließlich lauernd stehen.
„Jetzt wird er uns aufs Korn nehmen“, sagte der Unteroffizier der bosnischen BiH-Armee am Sehschlitz des zweiten Panzerwagens zu der Reporterin.
Anica nickte, ungläubig,
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