Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
einkaufen.“
„Dieser Leutnant hatte, bevor er in der Army einrückte, religiöse Bedenken“, erklärte Anica weiter. „Sein Pfarrer riet ihm, eine bestimmte Bibelstelle über die Amalekiter zu lesen.“
„Der Herr befahl dem Volke Israels“, zitierte der Pope sogleich frei aus dem Gedächtnis, „das Volk der Amalekiter auszurotten, einschließlich der Greise, Frauen und Kinder, nicht zu schonen die Neugeborenen, nicht das Kind im Mutterleib, auch nicht Kamele, Ochsen und Schafe, zu töten alle, bis keins mehr am Leben. – Aber das ist das Alte Testament, jetzt muss ein neues Buch aufgeschlagen werden.“
„Wie lange wird der Krieg hier noch dauern?“ fragte Anica.
„Bis die Menschen erschöpft sind“, gab der Pope zurück, die Augenbrauen hebend, „das heißt ihre Waffen, ihre Munition, ihr Kapital, ihre Ehre, ihre Politik...“
„Und was kommt danach?“
„Die Welt ist rund. Sie kreist um das gleiche Licht. Tod und Leben. Tag und Morgen. Glaube und Unglauben. Das sind zwei Seiten des Gleichen. Bosnien ist typisch für seine Gegensätzlichkeiten. Was wir brauchen ist die entschiedene Toleranz für die jeweils andere Überzeugung. Natürlich ist es wahr: Nur die Alten besuchen die Kirche, die Moschee. Die Jungen hören selten und ohne Pietät die jeweils heiligen Worte. Vielleicht weil sie eine verhärtete Menschheit erleben, vergleichbar dem Stein im Flussbett: bricht man ihn auf, bemerkt man, dass er innen trocken, nicht von Wasser durchdrungen ist, so wie die Menschenseelen seit zweitausend Jahren bis heute nicht wirklich durchdrungen erscheinen vom göttlichen Glauben Jesu oder dann auch Mohammeds. Gleichwohl hat jedes seine Zeit. Da heißt es warten.“
„Bis sie sich alle miteinander abgeschlachtet haben wie Vieh?“
„Auch an der Gottlosigkeit ermüdet der Mensch und eine neue Frömmigkeitsbewegung wird die Menschen wieder zu Gott und zum Frieden führen.“
„Es wird ein Friedhofsfriede sein“, nahm Dragan das Wort. „Beim nächsten Trommelschlag werden die Kriegsgespenster aus den Gräben auferstehen.“
„Für die Seelen jedenfalls steht diese Opatija stets weit offen“, sprach der Pope, „für alle, nicht nur die Orthodoxen oder anderen christlichen Glaubens, auch für die Muslime und Juden, Naturgläubige und Atheisten sowie allen Menschen guten Willens. Dafür bete ich aus tiefstem Herzen.“
„Fast hätte ich´s vergessen“, sagte Dragan. „Der orthodoxe Glauben erfordert, auf das Hirn zu verzichten. Wie nennen Sie das doch gleich? Das Hirn im Herzen?“
„Während des Gebets muss der Geist aus dem Gehirn ins Herz hinabsteigen“, verbesserte der Pope. „Der Kopf kümmert sich um die Intelligenz, doch das Herz ist der Quell aller Gemütsbewegung. Der Intellekt freilich ist unfähig zum Beten. Das Gebet besteht nicht darin, dass sich der Geist auf die Worte konzentriert, es reicht völlig aus...“
„...wie ein Kind stammelnd und brabbelnd nachzuplappern“, redete Dragan dazwischen, „und...“
„...zu wiederholen“, setzte der Pope ruhig und bestimmt fort, „und schon strömt die geistliche Quelle aus dem gläubigen Herzen.“
Ein geheimnisvolles Stimmengewirr drang an ihre Ohren, Anica kam es vor wie ein gewaltiges, klagendes Murmeln: Von der Empore her ertönte mehrstimmiger Kantatengesang. „Hört“, raunte der Pope. Tiefe, ergreifende Basstöne erschallten: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht. Und über die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell...“
„Ihnen zu Ehren, deutsche Reporterin“, sprach der Pope und, das Thema endgültig zu beenden, deutete er auf ein großes, in Leder gebundenes Buch. „Ein altes Buch, diese Bibel, mit alten Wahrheiten.“
„Ein kostbares Buch, wie der Koran“, erwiderte Anica. „Mit überkommenen Ideen. Sollen wir wieder bei Adam und Eva anfangen?“
„Wenn sich alle auf Urvater Abraham, bei Muslimen Ibrahim, verständigen könnten, wäre die Menschheit schon einen gewaltigen Schritt weiter“, antwortete der Iguman.
„Müssen wir immer über Religion oder Politik reden?“ fragte Dragan. „Ich habe zu Hause noch meine Leninreihe, gebunden in Schweinsleder: auch eine in Gold geprägte ewige Heilslehre.“
„Wozu sind Sie denn hierhergekommen, guter Freund?“ fragte der Pope zurück.
„Um Euren Segen zu erbitten, Pope“, erwiderte Dragan. „Sie haben meinen Vater und Großvater gesegnet.“
„Als sie noch jung waren“, sprach der bärtige Alte. „Und du warst, in
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