Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
deiner Jugend, in der Partei, nicht wahr?“
„Ich habe dazugelernt“, gab Dragan zurück.
„Und heute glaubst du wieder?“
„Ich versuche es, ehrwürdiger Iguman.“
„Weil du ehrlich bist“, sprach der Greis, „will ich dir meinen Segen nicht verweigern.“
„Und nicht meiner Gefährtin“, bat Dragan mit einer leichten Verbeugung. „Auch sie hat einen gefährlichen Beruf und bedarf deiner besonderen Benediktion.“
24 Im Abteihotel
Abends auf dem Zimmer des Klostergästehauses lagen sie beieinander gekuschelt im Bett, sahen die aktuellen kurzatmigen und entstellenden Fernsehbilder des NATO-Vergeltungsschlages für den jüngsten Granatangriff auf Sarajevo und waren froh, diesem Inferno entronnen zu sein. Die Nachtluft der bosnischen Hauptstadt war erfüllt von hin und her rasenden Leuchtspurgeschossen und Myriaden grell aufleuchtender Detonationsblitze, die City eingetaucht in ein gespenstisches, zitronengelbes Feuermeer der andauernden Granatierung durch die Bomber und die Eingreiftruppe der NATO. Zu sehen war viel Kriegstechnik, aber wenig von den betroffenen Menschen. Die Bilder des Tages gipfelten in der Vorführung eines abstürzenden, angeblich französischen Kampfjets, der eine in großen Schleifen nachtrudelnde Rauchfahne hinter sich herzog. Die Kampfpiloten hätten sich mit dem Schleudersitz retten können, hieß es in der Meldung; jedenfalls seien zwei Fallschirme über Pale gesichtet worden, wenn auch noch jede Spur fehle von der Mirage-Crew.
„Wozu zeigt man so was eigentlich? Na, Kriegsreporterin?“
„Chronistenpflicht, Flughund.“
„Damit wer in Wut gerät, ist es nicht so?“
„Leider kann ich nicht widersprechen.“
„Aber es werden immer die Falschen in Wut gebracht. Sie sollten mal was Authentisches aus der brutalen Wirklichkeit der Menschen hier berichten. Beispielsweise von einem Mann, der eines kalten Morgens einen anonymen Brief erhält, in dem er aufgefordert wird, sein Haus mit seiner Familie umgehend zu verlassen. Die Begründung lautet schlicht, sie seien im Wohngebiet unerwünscht. Der Brief schließt mit dem Hinweis, er stehe unter ständiger Beobachtung und dürfe niemandem etwas von diesem Brief sagen.
Der Empfänger reagiert zunächst verwirrt. Seit einem Vierteljahrhundert lebt er in diesem Haus. Hier hat er Wurzeln geschlagen, und nun soll er einfach hinausgeworfen werden, bloß weil er einer religiösen Minderheit angehört? Doch er weiß, es ist kein Scherz, und sein Herz füllt sich mit Bitterkeit. Er hat sich auch schon gewundert, dass etliche seiner Nachbarn ohne ein Wort zu sagen Möbelwagen kommen lassen und Knall auf Fall ausziehen.
Am Abend staunen die Beobachter nicht schlecht, als sie den Mann in Begleitung eines Lastträgers heimkommen sehen, der tief gebeugt unter einem großen eisernen Schrank im Haus verschwindet. Es ist allgemein bekannt, dass weder er noch seine Familie irgendwelche Vermögenswerte besitzen. Die anonymen Briefeschreiber hingegen, welche die Szene mitverfolgen, denken: Dieser verfluchte Dreckskerl! Anstatt abzuhauen, kauft er sich einen Safe, in dem er seine Schätze einschließt. Dafür wird er teuer bezahlen. Wenn er sein Haus nicht lebend verlassen will, werden wir es eben über seine Leiche in Besitz nehmen und sein Geld dazu.
In der Früh des nächsten Morgen setzt der Herr Nachbar seine Beobachter, die es auf sein Haus abgesehen haben, erneut in Erstaunen, als er mit seiner Familie und wenigen Habseligkeiten im ersten Dämmerlicht das Wohngebiet verlässt. Dieser hirnverbrannte Trottel! denken seine Feinde. Einen solchen Schrank zu knacken ist für sie eine Kleinigkeit. Schließlich haben sie einen Ruf als Meisterdiebe zu verteidigen.
Im Haus, das sie randalierend stürmen, erwartet sie schon die nächste Überraschung: Der Frühstückstisch steht gedeckt für sie bereit. Geröstetes Weißbrot und Lammschinken, dazu Kaffee und auch eine Flasche Slivovitz, und alles, was zu einem guten bosnischen Frühstück gehört, ist für sie aufgetischt. Warum ist ihnen früher niemals aufgefallen, was für ein komischer Kauz dieser Nachbar ist?
Während sie mit großem Appetit essen und sich lachend zuprosten, klingelt das Telefon. Es ist der Hausherr höchstselbst, der sich erkundigt, ob ihnen das Frühstück schmeckt und ob sie sich in seinem Haus wohlfühlen. `Er ist verrückt´, raunt der Hausbesetzer, der mit ihm spricht, seinen Kumpanen zu und sagt dann laut in die Sprechmuschel: `Es ist alles ganz prima. Du hast
Weitere Kostenlose Bücher