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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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dankbar, Raif, wenn du dir inzwischen den Camcorder mal anschauen würdest. Die Elektrik hat diesmal tatsächlich eine Macke. Dabei sind beide Akkus okay.“
    „Nass geworden, ja?“
    „Vielleicht ein wenig feucht.“
    „Ein bisschen Kondenswasser reicht aus, um die elektrischen Kontakte zum Oxydieren zu bringen. Hight-Tech mit einer Legierung aus der Steinzeit. Made in Germany?“
    „Importware”, verneinte die Journalistin. „Fernost.“
    „Ja, ja“, nickte Raif und produzierte einen großen Rauchkringel. „Dabei muss ich daran denken, dass Soldaten nicht nur mit Gewehren, sondern auch mit Fotoapparaten zu schießen pflegen. Schnappschüsse der besonderen Art. Schon mal gesehen?“
    „Rauch nicht so viel“, mahnte Anica, schüttelte den Kopf. „Warum nur werden solche Fotos gemacht?“
    „Sieh mal hier, Anica, ist gestern hereingekommen, frisch entwickelt: Wie sie stolz ihre Abzeichen tragen, Schwan, Wolf und Tiger. Einige wollen dokumentieren, etliche hingegen sammeln Trophäen.“
    „Wirklich?“ Sie besah sich mit Abscheu die Aufnahmen in Raifs Hand. „Wie Großwildjäger?“
    „Leider ja. Uns liegen Bilder vor von Gefallenen, aus deren Beschriftungen das eindeutig hervorgeht. Zusätzlich zu ihrer Mordtat, die sie Kriegserfolg nennen, tragen sie auch noch die entsprechende Trophäe in der Brieftasche.“
    „Es handelt sich sicher um einige wenige Einzelfälle, nicht wahr?“
„Keineswegs. Es existieren sehr, sehr viele derartiger Fotos. Manche machen heutzutage sogar Videoaufnahmen. Und dabei ist der Barbarisierungsgrad mit Händen zu greifen, der in den meisten Armeen herrscht. Das zeigen nicht nur die Bilder, das beweisen vor allem die Texte, die hinten drauf geschrieben werden. Hier handelt es sich offensichtlich von allem Anfang an um einen ethnischen Vernichtungskrieg.“
    Anica dachte an diese fotografierenden Soldaten am Fluss bei der Lynchaktion. Sie entschloss sich, Raif den heimlichen Mitschnitt aus ihrer Handtaschenkamera zu zeigen. Der Computertechniker sah erst die Bilder, dann die Journalistin missmutig an. „Bei diesem Einzelfall des mit einem Kopf eines Serben posierenden Soldaten handelt es sich um niemand anderen als den berüchtigten Rotbart Abu Abdel Aziz. Sein Barthaar ist mit Henna rot gefärbt, seine Hände mit Blut. In Afghanistan hat er seinerzeit Spezialkommandos ausgebildet. Finanziert von dem saudischen Multimillionär Usama bin Laden. Ein labiler, für seine eigenen Leute höchst gefährlicher Schuft.“
    „Darf ich von allem ein paar Abzüge haben?“ bat Anica beim Verabschieden.
„Du bekommst sie beim nächsten Mal“, versprach Raif und drückte ihr unter einer Verbeugung die Hand. Den Kopf aufgerichtet setzte er hinzu: „Sieh doch, was für ein Wetter das heute ist!“
    Das Wetter hatte sich am Nachmittag wirklich prächtig entwickelt. Die Sonne, bereits tief stehend, strahlte gleichwohl, als wollte der schon fünfzehn Stunden währende Tag gar kein Ende nehmen. Er kam Anica so unendlich lang vor, an ihm hatte sich wieder so viel ereignet, dass Krieg und Tod und Gefangenschaft in weite Ferne gerückt schienen.
    Anica bestieg ihren Roller und startete, als aus diesem heiteren Himmel Granateinschläge des einsetzenden serbischen Artilleriefeuers auf das Viertel herabprasselten. Eine Kaskade der Geschützfeuer nach der anderen ergoss sich auf den Stadtteil herunter. Die abgehackten Kracher in dem sirrenden Rhythmus der Geschosse bedeuteten Treffer, nicht von einer toten, sondern einer lebendigen, skrupellosen, brüllenden, dröhnenden Kampfmitteltechnik, aus der barbarische Lieder in fremden Klängen herausschrien. Die Detonationen reißen wieder die Macht an sich, dachte Anica. Hastig kehrte sie zurück zu Raif.
    „Du kannst nicht weg, Anica“, rief er gegen den Lärm an, „du musst bei uns übernachten. Und das ist nun ein Kriegsgeschenk der serbischen Seite, der wir gerade noch Gerechtigkeit widerfahren lassen wollten.“
    Anica nahm widerstrebend an. „Langsam hasse ich es. Wie oft muss man zurückkehren, der Gewalt weichen. Immer nur Gewalt, Gewalt, Gewalt!“
    „Leider gibt es noch die andere Wahrheit“, gab Raif zu bedenken, „dass grundlegende Veränderungen, zivilisatorische Fortschritte eigentlich von jeher nur durch Gewalt bewirkt worden sind. Schon immer lebte der Mensch mit dem inneren Konflikt zwischen Befürwortung und Ablehnung von Gewalt. Stets sind es rationale Entscheidungen, die zu Kriegserklärungen und hernach irgendwann wieder zu

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