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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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seasons”, sagte das Mädchen und blickte in Zudeck-Perrons blitzenden Fotoapparat.
    „Ein Festtag ist es gerade nicht“, meinte Anica.
    „Kümmere dich um ihn, Anica, wenn er Hilfe braucht. Du weißt, wie hilflos Männer sich anstellen, wenn...“
    „Zwei Minuten sind um“, unterbrach das Mädchen. „Bringt sie weg.“
„Danke, Anica“, würgte Mary-Jo noch hervor, ehe die Soldaten sie zu einem der Flöße geleiteten. Der Schock steckte tief noch in ihren Gliedern und Eingeweiden. Es fiel ihr schwer zu begreifen, dass dies alles kein böser Traum war, sondern nackte Wirklichkeit.
    „Sie ist doch verheiratet?“ fragte das Mädchen.
    Anica nickte.
    „Warum sitzt sie dann nicht im Garten ihres Hauses in Louisiana und spielt mit ihren Kindern?“
    „Sie hat noch kein Kind“, erwiderte die Reporterin.
    „Woher weißt du denn, Brena“, fragte Zudeck-Perron, „wo sie zu Hause ist?“
    „Sie trägt das Abzeichen des Golfclubs ihres Mannes an der Kluft“, lächelte das Mädchen. „Ist es nicht so?“ Und fuhr fort, als Anica nickte: „Jetzt wird sie eine Zeit lang ohne ihn auskommen müssen. Den Club und ihren Mann.“
    „Sie sind Soldatin“, fragte Anica, „sind Sie es gerne?“
    „In erster Linie bin ich Kämpferin Allahs“, erwiderte Lepa Brena.
    „Welchen Dienstgrad hast du?“ fragte Zudeck-Perron.
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht in diesen Kategorien. Doch die Männer sind ganz wild darauf und werden dann auch zu allen möglichen Dienstgraden befördert. Sogar zu paradiesischen. Sie warten ständig auf die nächste Beförderung, und mit einem Mal überspringen sie alle Dienstgrade und landen gleich bei den paradiesischen.“
    „Sie meinen als Märtyrer?“ fragte Anica.
    „Ich bin nicht sicher, ob sie den Bockmist, den sie bei Lebzeiten gebaut haben, im Paradies werden ausbügeln können. Der Krieg ist eine heilige Sache.“
    Die Turbinen der UN-Helikopter röhrten auf, die Rotorblätter begannen sich zu drehen. Lepa Brena verabschiedete sich auf dem Weg zu den Maschinen von Anica. Dann lächelte sie Zudeck-Perron zu und sagte: „Pass gut auf dich auf, Bruder Pavle, damit wir eine Chance haben uns wiederzusehen.“
    Dem Fotoreporter traten Tränen in die lächelnden Augen. „Ich... Ich...“, stammelte er, mehr brachte er nicht heraus und winkte dem Mädchen nach. Dich sehe ich wieder, kleine Bosnierin, dachte er, und was hätte ich alles von dir haben können...
    Anica winkte dem Mädchen freundlich nach.
    Aus dem abhebenden Hubschrauber sahen sie, wie die Menschen unten unvermittelt kleine Tücher ausrollten und ausrichteten. Auch Lepa Brena vollzog mit beeindruckender Gleichheit dieselben Gesten wie alle Gläubigen: Sie berührten die Schultern mit geöffneten Händen, legten die linke Hand in die rechte und sprachen das Gebet. Die Rücken beugten sie, bis die Handflächen die Knie berührten, beteten, richteten sich auf, um abermals ein Gebet zu sprechen, warfen sich schließlich nieder, drückten die Stirn auf den Boden, knieten sich wieder hin, beteten neuerlich. Anica beobachtete verwundert, wie die kleinen Gestalten auf der Erde sich erhoben, die Teppiche einrollten, und das alltägliche Leben weiterging.
    „Verdammte Hammeldiebe, südslawische“, rutschte es Zudeck-Perron unterdrückt heraus. „Aber ich hab es ja gesagt: Es wird gut sein, wenn wir daheim hübsch stille sind. Was ist das nur für ein Krieg? Und was für ein Leben!“
    „Das Leben im Krieg, wissen Sie eigentlich, woraus es besteht?“ fragte Anica.
    „Na?“
„Wie alles Leben aus zweierlei: aus Gutem und Schlechtem. Das Schlechte ist jetzt mehr geworden, aber das Gute reicht noch aus. Bestimmte Leute ausgenommen.“
    „Haben Sie mich dabei im Auge?“ Zudeck-Perron zog die Augenbrauen hoch.
    „Vielleicht“, erwiderte sie und dachte an die Erfolgsaussichten seines Lächelns und seines Geldes.
    Er schwieg verbissen auf dem ganzen Flug, und noch im Aerodrom beim Aussteigen und Gang über die Betonpiste zum Flugplatzgebäude sagte er kein Wort. Lahm winkte er Anica zu, stieg in ein zerbeultes Taxi. Die Journalistin beobachtete, dass er seine beiden Fotoapparate wütend auf den Rücksitz knallte.

32 Anicas Geschäftsbesuch
     
    Anica selbst fuhr rasch in die Altstadt und stellte ihren Roller in der Nähe des Elektronik-Ateliers ab. Eigentlich hatte sie zunächst Burkhart besuchen und über das Schicksal seiner Frau informieren wollen, doch scheute sie die Begegnung mit ihm, wusste nicht,

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