Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
African Boogie

African Boogie

Titel: African Boogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Barz
Vom Netzwerk:
die Adresse zu entlocken.
    Neben dem Anruf-Protokoll fand sich eine Notiz. Katharina kannte die kleine, gestochene Handschrift. Sie gehörte Thomas, ihrem Partner. Einen kurzen Augenblick lang dachte Katharina an den vergangenen Sonntag. An Thomas’ Beerdigung, auf der ihr seine Witwe die Akte zugesteckt hatte. Sie biss sich auf die Lippen, denn sie spürte, wie sich in ihren Augen Tränen sammelten. Nicht heulen! Nicht jetzt!
    Was hatte Thomas notiert? »Anruf durch wen? A.A.?« A.A.? Andreas Amendt?
    Sie blätterte weiter. »Einsatzbericht / Erster Angriff« war die nächste Seite überschrieben. »Erster Angriff« – so nannte man die ersten Arbeiten der Polizei vor Ort: Tatort sichern, Verletzte versorgen, mögliche Verdächtige festnehmen, Zeugen finden und so weiter. Früher hatte Katharina diese Bezeichnung immer komisch gefunden. Sie vertiefte sich in die Lektüre des Berichts.
    Die Streifenbeamten hatten die Haustür offen vorgefunden. Wegen möglicher Gefahr im Verzug hatten sie das Haus betreten: im Wohnzimmer drei leblose Personen, die Scheibe des Panoramafensters eingeschlagen.
    Dann hatte einer der Beamten »Geräusche, die auf verdächtige Aktivitäten schließen ließen« gehört. Das stand da wirklich so. Beamtendeutsch war schrecklich prosaisch. Aber Katharina kannte die Situation. Den Augenblick, in dem man feststellt, dass man nicht alleine am Tatort ist. Den bitteren Geschmack des Adrenalins im Mund. Das Pochen des eigenen Herzschlags. Sie konnte die beiden Streifenbeamten vor sich sehen, wie sie mit gezogenen Dienstwaffen den Geräuschen nachgegangen waren. Ins obere Stockwerk. Ins Badezimmer. Dort hatten sie ihn vorgefunden: »eine verdächtige, hilflose Person«. Nackt unter der Dusche kauernd. Der Bericht vermerkte, die Beamten hätten das »Wasser, das auf sehr hohe Temperatur eingestellt war,« abgedreht. Dann hatten sie die »hilflose Person« in Gewahrsam genommen. Aufgrund der deutlich sichtbaren Blutspuren auf der im Bad vorgefundenen Kleidung hatten sie der Person »Behelfskleidung zur Verfügung gestellt«. Dann hatten sie die Person in ihren Streifenwagen verbracht.
    Zuletzt fand sich noch ein Vermerk: Die hilflose Person wurde als »Andreas Amendt, Assistenzarzt in der neurologischen Abteilung des Universitätsklinikums Frankfurt am Main« identifiziert. Richtig. Amendt war nicht nur Gerichtsmediziner, sondern auch Neurologe. Ein Wunderkind. Medizinstudium und zwei Facharztausbildungen in Rekordzeit. Waren Wunderkinder nicht immer in Gefahr, dem Wahnsinn zu verfallen? Katharina meinte, gelesen zu haben, dass hohe Intelligenz und Schizophrenie genetisch oft Hand in Hand gingen. Und Amendt war erblich belastet. Das hatte ihr Professor Paul Leydth, sein Ziehvater, in einem etwas surrealen Gespräch erzählt. Leydth hatte nur sehr kryptisch von einem Mord gesprochen, an dessen Tatort Amendt gewesen war. Und dann hatte der Professor Katharina gebeten, die Wahrheit über diesen Mord herauszufinden. Vorausgesetzt, Andreas Amendt zog sie ins Vertrauen. Nun ja, zu spät.
    Neben dem Bericht der Polizisten fand sich wieder ein Vermerk: »Schock?« Außerdem hatte Thomas mit einer Büroklammer einen Wikipedia-Artikel an die Seite geheftet: »Retrograde Amnesie«. Rückwirkender Gedächtnisverlust. Was hatte Paul Leydth gesagt? »Er hat keine Erinnerungen an die Tat.« Aber war Amnesie nicht oft zeitlich begrenzt? Kamen die Erinnerungen nicht irgendwann zurück? Thomas hatte die entsprechenden Sätze in dem Artikel mit einem Textmarker angestrichen und notiert: »Weiß er heute mehr?«
    Katharina hörte ihren toten Partner beinahe sprechen. Das war seine Art gewesen: Fragen zu stellen. Immer wieder und wieder. Damit hatte er Katharina manchmal fast zum Wahnsinn getrieben.
    Die nächsten Seiten der Akte enthielten den Bericht der Spurensicherung, eine endlose Auflistung: Fingerabdrücke, ein paar Fußspuren im Garten. Das meiste davon war nicht verwertbar. Katharina überflog die Liste, bis ihr Blick an der sichergestellten Kleidung aus dem Badezimmer hängenblieb: Baumwollhemd, Baumwollhose, hellblau. Krankenhauskleidung. Darauf Blutspritzer und Wischspuren – Blutgruppe Null. Katharina dachte daran, dass Susanne, als sie mit dem Medizinstudium anfing, aus Spaß die Blutgruppen ihrer Familie bestimmt hatte. Sie alle hatten Blutgruppe Null. Eine sehr seltene Anomalie. Ihr Vater hatte gesagt, er habe immer gewusst, dass seine Familie etwas ganz Besonderes sei.
    Als Katharina die Seite

Weitere Kostenlose Bücher