African Boogie
leitende Ermittler gewesen war. Und doch hatte er kein Sterbenswörtchen gesagt. Klar, er durfte nicht. Aber er musste doch gesehen haben, was sich zwischen ihr und Amendt abspielte. Das Gleiche galt für Kurtz, ihren Patenonkel. Beide hatten Katharina ins offene Messer laufen lassen.
Katharina spürte einen Stich im Magen: Sie hatte jetzt niemanden mehr, dem sie vertrauen konnte: Thomas, ihr bester Freund, war tot. Polanski und Kurtz hatten sie angelogen – und der Mann, der ihr das Leben gerettet und in den sie sich verliebt hatte … Nun ja, dieser Mann war Andreas Amendt, der Mörder ihrer Familie.
Sie war allein. Endgültig allein.
»Meine Damen und Herren«, riss eine freundliche, etwas rauchige Frauenstimme Katharina aus ihren Grübeleien. »Wir beginnen nun mit dem Boarding für Emirates Airlines, Flug 2804 …«
Das war ihre Maschine. Katharina ging vor zum Gate, überreichte ihre Bordkarte und wurde in den stählernen Tunnel der Gangway zum Flugzeug eingelassen.
Eine weitere arabische Schönheit, diesmal jedoch von ausgesuchter Freundlichkeit, nahm sie am Eingang des Flugzeugs in Empfang und geleitete sie zu ihrem Sitz. Katharina ließ sich hineinfallen. Der Sitz war weich, groß und mit hellem Leder bezogen. Zwei Armlehnen ganz für sie alleine. Genug Freiheit, um ihre Beine ganz auszustrecken. Die Stewardess half ihr mit dem Sicherheitsgurt. Dann fragte sie Katharina höflich: »Möchten Sie vor dem Abflug ein Glas Champagner?«
Die Maschine rollte gemächlich über den Flughafen zur Startbahn. Auf dem Platz jenseits des Ganges hatte ein kleiner, kugelrund-vergnügter Mann Platz genommen. Auch er hatte sich ein Glas Champagner bringen lassen und Katharina über den Gang hinweg zugeprostet.
Jetzt war der Champagner getrunken und die Stewardess hatte die Kelche wieder eingesammelt. Katharina fühlte sich angenehm leicht und etwas beschwipst.
Endlich hatte die Maschine ihre Startposition erreicht. Der Pilot stellte sich vor und wiederholte noch einmal den Hinweis, sich jetzt anzuschnallen und den Sicherheitsgurt erst zu lösen, wenn die Maschine ihre Reiseflughöhe erreicht habe.
Die Motoren der großen Boeing heulten auf. Die Maschine beschleunigte, Katharina wurde in ihren Sitz gepresst. Dann hob das Flugzeug ab und nahm Kurs in den schwarzen Nachthimmel.
Blues On The Dark Side
In der Ferne blinkten die Lichter eines Flugzeugs. Andreas Amendt stand auf der Terrasse seiner Dachwohnung und schaute den Lichtern nach. Dann verschwanden sie in der Wolkendecke, und er richtete seinen Blick wieder nach unten in den dunklen Innenhof seines Hauses.
Er könnte einfach springen. Nein, das war eine blöde Idee: Die Äste der Bäume würden seinen Sturz abfangen; er würde sich lediglich ein oder zwei gebrochene Gliedmaßen und einen Aufenthalt in der Psychiatrie einhandeln. Er atmete tief ein, doch die feuchtkalte, schmutzige Winterluft schien keinen Sauerstoff zu enthalten. Alles in allem war es ein wirklich beschissener Tag gewesen.
Vor einer Stunde hatte es erneut geklingelt. Er wollte es wieder ignorieren. Doch kurz darauf schlug jemand mit Macht gegen seine Wohnungstür: »Amendt! Ich weiß, dass Sie da sind! Machen Sie auf oder ich trete die Tür ein!« Antonio Kurtz. Natürlich.
Andreas Amendt öffnete zögernd. Kurtz stieß die Tür ganz auf, packte ihn am Kragen und schleifte ihn ins Wohnzimmer. Grelles Licht flammte auf und vertrieb die Dunkelheit. Amendt kniff die Augen zusammen. Hinter Kurtz waren zwei stämmige, kahl geschorene Männer in die Wohnung getreten. Einer von ihnen hatte wohl den Lichtschalter betätigt.
»Sie haben es mir versprochen, verdammt!« Kurtz zog Andreas Amendt wieder am Kragen hoch.
»Aua. Sie … Sie tun mir weh!«
»Weh? Ich tue Ihnen weh?« Kurtz ließ ihn auf das Sofa fallen. »Sollen Ihnen meine beiden Experten hier mal zeigen, was wehtun wirklich bedeutet? Und seien Sie lieber froh, dass ich hier bin und nicht Katharina. – Ganz ehrlich, ich hätte kein Problem damit, wenn sie Ihnen eine Kugel in den Kopf jagt.«
Andreas Amendt ließ den Kopf in die Hände sinken. Auch er hätte kein Problem damit. Aber das würde er Kurtz sicher nicht sagen.
Kurtz packte ihn unter dem Kinn. »Sie hatten es mir versprochen. Sie wollten es ihr unbedingt selbst sagen.«
»Es ist … nicht so einfach.«
»Einfach? Nichts ist einfach. Auf jeden Fall: Jetzt weiß sie es.«
Andreas Amendts Magen stürzte in bodenlose Tiefen. »Haben Sie es ihr gesagt?«
»Nein!«,
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