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African Boogie

African Boogie

Titel: African Boogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Barz
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umblätterte, musste sie tief durchatmen. Tatortfotos. Sie zwang sich, die Bilder anzusehen: Ihre Eltern saßen auf dem Sofa. Ihre Schwester Susanne lag auf dem Boden. Auf dem Rücken. Katharina stutzte. Susanne hatte vermutlich in ihrem Lieblingssessel gesessen. War sie aufgestanden, um sich schützend vor ihre Eltern zu stellen? Selbst dann hätte sie so nicht liegen dürfen. Nicht so gerade ausgestreckt und mit dem Kopf in die falsche Richtung. Auch Thomas hatte diese Diskrepanz bemerkt und am Rand notiert: »Wer hat die Leiche bewegt?«
    Katharina versuchte, sich den Hergang vorzustellen: Es muss sehr schnell gegangen sein. Ihre Familie sitzt beim Kaffee. Der Täter springt durch die Scheibe des Wohnzimmers und schießt. Die tödlichen Schüsse fallen innerhalb weniger Sekunden. Und dann?
    Ein Foto zeigte den gedeckten Kaffeetisch. Feines Porzellan, eine Leidenschaft ihrer Mutter. Marmorkuchen. Susanne war süchtig danach gewesen. Das Bild wirkte friedlich. Unberührt. Fast. Ein paar Pfeile dokumentierten Blutspritzer. Blutgruppe Null.
    Den Tatortfotos folgten Seiten um Seiten mit Vernehmungsprotokollen. Vor allem mit Amendt. Immer wieder die gleiche Frage: »Was ist passiert?« Immer wieder die gleiche Antwort: Er sei nach der Arbeit von der Klinik zu seiner Verlobten gefahren. Da er sehr erschöpft gewesen sei, habe Susanne ihm angeboten, sich in ihrem Zimmer ein wenig hinzulegen. Danach wisse er nichts mehr. Die »Ich erinnere mich an nichts«-Strategie: der erste Schritt in Richtung Freispruch wegen Unzurechnungsfähigkeit.
    Andreas Amendt war mit der Strategie durchgekommen. Ein Gutachten, das sich gleichfalls in der Akte befand, bestätigte die Amnesie. Gutachter war … Professor Paul Leydth. Amendts Ziehvater. Ein Freundschaftsdienst? Das wäre strafbar gewesen. Allerdings bestätigte ein zweiter Arzt, dessen Name ihr nichts sagte, die Diagnose. Das Gutachten enthielt auch einen Hinweis auf die familiäre Vorbelastung: Amendts Mutter war schizophren gewesen. Sie hatte seinen Vater getötet und sich dann das Leben genommen. Auch das hatte Paul Leydth Katharina erzählt.
    Katharina kramte in ihrem Gedächtnis. Was wusste sie über Schizophrenie? Sie erinnerte sich noch gut daran, was der Gerichtspsychiater mit dem schweren Tick, der ihn immer seinen Kopf ruckartig zur Seite werfen ließ, in seiner Vorlesung »Psychische Erkrankungen in der polizeilichen Praxis« betont hatte, damals auf der Polizeihochschule: Schizophrene waren selten gewalttätig, seltener als der Durchschnitt der Bevölkerung. Und wenn doch, benötigten sie einen sogenannten Trigger, ein starkes auslösendes Moment. Was war dieser Trigger gewesen?
    Sinnlos, zu grübeln. Also zurück zu den Spuren, den Indizien. Katharina schlug den Bericht der Ballistik auf: Acht Schüsse waren abgegeben worden. Aus einer Entfernung von fünfzig bis achtzig Zentimetern. Alle acht Geschosse konnten sichergestellt werden. Kaliber 7.65 Millimeter. Die Spuren an den Geschossen waren konsistent mit einer Tatwaffe vom Typ Walther PPK. Die Akte vermerkte, dass eine Waffe dieses Typs auf Diether Klein, Katharinas Vater, registriert war. Doch die Pistole war nicht auffindbar. Katharina wunderte sich: Ihr Vater war immer sehr vorsichtig gewesen und hatte die Waffe im Tresor seines Arbeitszimmers verwahrt. Ungeladen. Wo war sie? War es die Tatwaffe? Und wenn ja, wie war Amendt an sie herangekommen?
    Katharina wollte schon weiterblättern, als sie noch einmal stutzte. Sie blätterte zurück. Doch. Acht Geschosse. Und keine Patronenhülsen. Nahm sich jemand in einem Wahnanfall wirklich die Zeit, derart gründlich Spuren zu beseitigen?
    Und: Acht Geschosse? Das Magazin einer PPK fasste sieben Patronen. Wo kam die Achte her? Natürlich konnte man eine Pistole überladen: Durchladen, das Magazin entnehmen und auffüllen. Sieben Patronen im Magazin und eine im Lauf. Aber das war schon ziemlich spezielles Fachwissen, über das nur ein geübter Schütze verfügte. Außerdem verlangte es Planung. Planung und Wahnsinn? Oder lud ihr Vater seine Pistole so? Katharina glaubte es nicht, denn es hätte bedeutet, das Magazin bei entsicherter Waffe und gespanntem Hahn zu entnehmen und wieder einzusetzen. Das Risiko, dass sich dabei ein Schuss löste, war groß. Ihr Vater wäre dafür zu vorsichtig gewesen.
    Neben dem Ballistikbericht fand sich eine Notiz von Thomas: »TT? Autopsiebericht, S. 8« TT? Was sollte das denn heißen? Thomas und seine Fragen. Katharina schlug die

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