African Boogie
knurrte Kurtz. » Ich halte mich an meine Versprechen. Aber haben Sie im Ernst geglaubt, sie würde es nicht von selbst herausfinden?«
Klar. Natürlich hatte sie es herausgefunden. Verdammt, warum hatte er es ihr nicht einfach gesagt? Dreimal hatte er einen Anlauf unternommen. Dreimal war etwas dazwischengekommen. Dreimal war er dankbar gewesen für die Galgenfrist.
»Und jetzt?«, fragte Andreas Amendt endlich.
»Nichts ›und jetzt‹. Katharina ist fort. Untergetaucht. De Vega hat einen Profi-Killer auf sie angesetzt.«
Andreas Amendt schämte sich dafür, dass er innerlich aufatmete. Erneut war seine Frist verlängert worden.
»Aber sie wird wiederkommen«, fuhr Kurtz fort. »Und dann werden Sie ihr jede Frage beantworten, die sie stellt.«
»Und was, wenn ich das nicht kann?«
»Oh, Sie können. Dafür garantiere ich. Und was Katharina nicht aus Ihnen herauskriegt …« Kurtz blickte vielsagend auf seine beiden Schläger. Dann beugte er sich ganz dicht vor Amendts Gesicht. »Haben wir uns verstanden?«
»Ja, voll und ganz.«
»Na also. Und enttäuschen Sie mich nicht wieder.«
Mit einem lauten Knall fiel die Wohnungstür hinter Kurtz und seiner Leibgarde ins Schloss.
Andreas Amendts Hände schmerzten vor Kälte. Er hatte natürlich keine Jacke angezogen. Fast eine Stunde hatte er nach Kurtz’ Besuch auf der Dachterrasse gestanden. Antworten hatte er noch immer nicht. Weder für Katharina Klein noch für sich selbst.
Endlich hielt er die Kälte nicht mehr aus. Die rasenden Gedanken. Den Sog des Abgrunds. Er ging in sein Wohnzimmer und schloss die Terrassentür sorgfältig.
Sein Blick blieb auf dem Telefon haften, das in der Ladestation auf dem Schreibtisch stand. Er nahm es und setzte sich wieder auf sein Sofa. Langsam drehte er das Gerät in den Händen. Wen sollte er anrufen?
Plötzlich wusste er es: Die Nummer, die er wählte, war lang. Mehr als zehn Stellen. Er lauschte im Hörer auf die Stille, in der sein Anruf durchgeschaltet wurde. Es läutete am anderen Ende. Fünf, sechs, sieben Mal. Endlich meldete sich eine dunkle, kräftige Frauenstimme: »Herbst Medical Office?«
»Hi Sandra, ich bin es.«
»Andreas!« Die Stimme klang ehrlich erfreut.
»Hab’ ich dich geweckt?«
»Nö. Bin eben erst von einem Notfall zurückgekommen.« Er hatte mit Sandra Herbst zusammen studiert. Auch noch in der Facharztausbildung – zum Neurologen, Amendts erster Disziplin – waren sie unzertrennliche Freunde gewesen. Doch irgendwann war Sandra ins Ausland gegangen und nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt.
»Wir haben ja schon ewig nicht mehr miteinander gesprochen. Wie geht’s dir? Du klingst nicht gut«, fragte sie.
»Na ja, wie man es nimmt. Ich bin gerade suspendiert. Lange Geschichte. Aber ich habe schon eine neue Stelle.«
»Das ist doch klasse! Glückwunsch!«
»Und ich habe mich verliebt«, stieß Andreas Amendt hervor. Es klang seltsam, so laut ausgesprochen.
»Noch besser! Wurde ja auch mal Zeit!«
»In Susannes Schwester.«
Ein erschrockenes »Was?«. Dann Schweigen. Endlich fuhr Sandra Herbst fort: »Großer Gott. – Und jetzt?«
»Nichts ›und jetzt‹. Ab Februar soll ich auch noch mit ihr zusammenarbeiten. Die neue Stelle.«
»Hm.« Sandra Herbst dachte nach. »Ab Februar, sagst du? Und du bist gerade suspendiert?«
»Ja.«
»Dann pack deine Siebensachen und komm her!«
Night Ride
Ein dezentes Ping aus den Bordlautsprechern kündigte an, dass das Flugzeug seine Reiseflughöhe erreicht hatte. Katharina löste ihren Sicherheitsgurt und nahm ihre Handtasche. Die normalen Flugzeugkopfhörer waren immer so unbequem. Deshalb wollte sie nach den Ohrhörern ihres MP3-Players suchen. Doch stattdessen zogen ihre Hände die Akte hervor. Die Fallakte ihrer Familie.
Sie hielt den schweren Hefter auf dem Schoß und starrte ihn an, als würde er so von selbst seine Geheimnisse preisgeben.
»Nun schlag die Akte endlich auf, du Feigling.« Katharina meinte, Susanne sprechen zu hören. Ihre tote Schwester. »Du hast es dir und mir versprochen!«
Susanne hatte recht. Sie hatte es ihr versprochen. Katharina atmete tief und langsam ein und aus. Als ihr Herz nicht mehr bis zum Hals schlug, öffnete sie den braunen Papphefter.
Die Akte begann mit einem Protokoll des Notrufs. Der Anrufer hatte seinen Namen nicht genannt. Immer wieder hatte er völlig verstört wiederholt: »Etwas Schreckliches ist passiert.« Der diensthabende Beamte hatte mehrere Anläufe gebraucht, um ihm wenigstens
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