African Boogie
Jeans, schwarzes Jackett, schwarzes Button-down-Hemd. Er schüttelte den Kopf: »Nein, ich bin kein Country-Fan. Jazzer!«
Der Mann nickte anerkennend. Bestimmt hatte er in seiner kleinen Pfarrei ein paar Platten von Chet Baker oder Al Di Meola. Richtige Schallplatten. Keine CDs.
Andreas Amendt deutete auf das Buch. »Ist doch praktisch, wenn man von Berufs wegen immer erbauliche Lektüre dabei hat, nicht wahr?«
»Wie man es nimmt.« Der Mann schlug den Ledereinband zurück und offenbarte das Cover des Buches: »Das Schwert der Leidenschaft« von Tamara Paxton. Die Lettern des Titels schwangen sich über eine Airbrush-Idylle, in der sich ein Ritter in silberner Rüstung über eine ohnmächtige Schönheit beugte.
»Wenn Gott nicht gewollt hätte, dass wir Ritterromane lesen, hätte er uns Tamara Paxton nicht gegeben.«
Argumentiere nie mit einem Theologen. Andreas Amendt wollte etwas Cleveres erwidern, doch sie wurden von plötzlichem Lärm unterbrochen: Vor ihnen in der Schlange diskutierten zwei Männer lautstark darüber, wer sich jetzt vorgedrängt hatte. Die beiden weigerten sich, ihren Streit beizulegen, aber auch, die Menschen nach ihnen vorzulassen. Das konnte ja noch eine Ewigkeit dauern.
Der Priester schien das Gleiche zu denken. Er klappte sein Buch zu. Dann zog er einen schmalen, steifen, weißen Stoffstreifen aus der Innentasche seiner Jacke: »Was halten Sie davon, wenn wir das hier ein wenig abkürzen?«
»Und wie?«
»Lassen Sie mich nur machen.« Mit geschickten Fingern steckte der Mann den Stoffstreifen in Amendts Kragen, bevor dieser noch fragen konnte, was das solle. Jetzt erst erkannte er, was der Stoffstreifen war. Ein Priesterkragen. Der Mann bürstete noch ein Staubkorn von Amendts Jackett und zog das Revers gerade. »Doch, das geht. Folgen Sie mir.«
Damit hob er seine kleine Reisetasche auf und ging. Andreas Amendt nahm sein Gepäck und folgte ihm. Der Mann steuerte schnurstracks auf den Schalter der Business Class zu. Er fragte knapp über seine Schulter: »Ihr Vorname?«
»Andreas. Warum?«
»Sie werden sehen.« Dann setzte der Priester sein freundlichstes Lächeln auf.
»Gott zum Gruße«, wandte er sich an die junge Frau, die an dem Schalter saß. »Ich frage mich, ob Sie wohl eine Ausnahme machen und uns einchecken könnten? Bruder Andreas und ich würden gern noch die Kapelle aufsuchen und ein Gebet sprechen.«
Die Frau antwortete etwas überfahren: »Eigentlich ist das …«
»Für einen sicheren Flug«, fuhr der Mann unbekümmert fort. Er sah der jungen Frau direkt in die Augen. Flirtete er? Ein Priester?
Die Frau wurde unsicher. »Ich glaube, da kann ich eine Ausnahme machen.« Ihre Stimme war kieksig. »Wo wollen Sie sitzen?«
Zwei Minuten später hatten Andreas Amendt und der Priester ihre Bordkarten.
»Ist so was denn zulässig?«, fragte Andreas Amendt den Priester, als sie in der Schlange der Passkontrolle standen.
Der Priester grinste, und schaffte es dabei, zugleich schelmisch und würdevoll auszusehen: »Ach, für solch lässliche Sünden hat der liebe Gott eine Strafe geschaffen: Fliegen mit der Economy Class.«
Sie hatten einen Kaffee getrunken, während sie darauf warteten, dass ihr Flug aufgerufen wurde, spendiert vom italienischen Wirt des kleinen Stehcafés, der automatisch an das kleine goldene Kruzifix um seinen Hals fasste, als er die beiden Geistlichen bediente. Andreas Amendt hatte den Priesterkragen schon wieder abnehmen wollen, doch sein Gegenüber hatte abgewinkt. »Behalten Sie ihn bis nach der Einreise. Macht vieles leichter. – Ach, mein Name ist übrigens Javier.«
»Andreas Amendt.« Sie hatten sich die Hände geschüttelt.
»Fahren Sie in den Urlaub?«, hatte Andreas Amendt neugierig gefragt.
»Ach, schön wäre es. Nein. Missionsarbeit. Ein paar Wochen im Jahr reise ich um die Welt und besuche Gemeinden. In diesem Jahr ist Afrika dran. – Und Sie?«
Andreas Amendt zuckte mit den Schultern. Javier musterte ihn: »Sie laufen vor jemandem davon. – Ja, Sie laufen davon, richtig?«
Richtig. Amendt war, typisch für ihn, auf der Flucht. Vor sich selbst. Vor seinen Problemen.
»Eine Liebesangelegenheit?«, bohrte Javier weiter. In diesem Augenblick wurde ihr Flug aufgerufen. »Kommen Sie, erzählen Sie es mir im Flugzeug.«
Jetzt wusste Andreas Amendt, was Javier mit der Strafe für lässliche Sünden gemeint hatte. Zwar hatte die Frau am Schalter ihnen in einem Anfall christlicher Nächstenliebe die besten Plätze gegeben, direkt
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