Afrika im Doppelpack: Vater und Sohn mit dem Rucksack durch Schwarzafrika
zur Fratze verzogen, das Augenweiß hervorgetreten, trieb er uns, selbst immer wieder hektisch zu dem Elefanten zurückblickend, eiligst vor sich her. Was war los mit ihm? Warum die plötzliche Panik? Und wo war Michael?
Während wir bereits etliche Meter durch Dornbüsche und Palmengehölz gestolpert waren, stand Michael noch wie angenagelt – ja, klar: am Arsch des Elefanten. Ich spürte es in meiner Körpermitte heiß werden, richtig heiß. Nicht aufgrund der Hitze oder wegen unseres Gerennes. Und doch empfand ich eine seltsam erwartungslose Gefühllosigkeit, als ich zu Michael zurück raste. Ich spürte mich meinem Kind förmlich jeden Meter näher kommen. Musste ich ihn retten? War es wirklich so weit gekommen, dass es einer Rettung bedurfte? Könnte ich ihm helfen? Gegen einen ausgewachsenen Elefantenbullen? Es wurde alles einfacher als vermutet. Bob erreichte Michael beinahe zeitgleich mit mir. Ihn hatte ich – wie alles andere um mich herum – nicht mehr wahrgenommen. Es gab für mich nur noch Michael und den Elefantenbullen. Und genau mit diesem Ausdruck in meinem Gesicht muss ich mich meinem Sohn genähert haben. Jetzt erkannte auch er die Gefahr und floh so schnell ihn seine kleinen Beine trugen. Mit jedem zurückgelegten Meter spürte ich mit der real abnehmenden Gefahr meine eigene, bis dahin nicht wahrgenommene Angst wie wild hochkochen. Fühlte das unbändig durch jede, noch so kleine Ader rauschende Adrenalin mit dessen ureigener Wirkung, alles außer dem in dieser einen Sekunde im Hier und Jetzt Existierende in die Inexistenz zu verbannen. Es gab nur die Fokussierung auf exakt diesen einen Moment, den wir Gegenwart nennen. Kein Vorher, kein Nachher.
Nach hundert Blicken zurück wurden wir langsamer, fanden wieder Anschluss an unsere ihrerseits wie wild vor Erschöpfung hechelnde Gruppe. Wir legten uns nebeneinander in das – wie sollte es anders sein – Elefantengras, und teilten miteinander das wohl geilste aller Gefühle: die grenzenlose Euphorie nach überstandener Gefahr. Die göttlichste aller Emotionen: Am Leben zu sein. Was vorher vorausgesetzt schien, betrachteten wir jetzt als Geschenk. Unsere Körper bedankten sich für diese Erfahrung mit einer Überdosis Endorphinen, die uns mit Wellen überschwänglichen Glücks zu vergiften drohte. Vor übersprudelnder Lebensfreude nahe der Hysterie lagen wir Seite an Seite und feierten unseren Retter – den Wind. Ohne ihn, der unseren Angstschweiß vom Elefanten weg trug, gäbe es diesmal keine Geschichten ums Lagerfeuer. Ohne ihn hätten wir in Afrikas rauer Wildnis Geschichte geschrieben.
Das Feuer war ein guter Therapeut, half angespanntes Innen und schlaffes Außen wieder in Einklang zu bringen. Wir klagten alle über die gleichen Symptome: Der Körper war müde von den Beschwerlichkeiten des Tages, der Geist jedoch, der Geist war noch nicht bereit zur Ruhe, wollte erst verarbeiten, was ihn den Tag über aufgewühlt, von einem Hochgefühl zum nächsten gepeitscht hatte und bis jetzt nicht zur Ruhe kommen ließ. Erst mussten die Erlebnisse des Tages noch einmal ausgepackt, durchgekaut und abschließend verdaut werden, bevor emotionale Ruhe einkehren konnte. Etwa Kens überraschende Begegnung mit einem nachtaktiven Serval auf der allein durch eine Buschreihe vom Lageplatz abgetrennten Naturtoilette, nach der tatsächlich nur noch die wenigsten ohne Führer (sic!) ihr Geschäft verrichten wollten. Michael und ich gehörten nicht zu dieser übervorsichtigen Spezies, konnten uns jedoch – unter Lachanfällen – sehr gut vorstellen, wie Antonio über der frisch ausgehobenen Sickergrube kauerte und dabei aufpasste, dass sich der aufmerksam zur Abwehr etwaiger Raubtierangriffe in den dichten Busch spähende Fanuel bloß nicht zu ihm umdrehte.
Zu einem ewigen Schenkelklopfer und Quell derber Frotzeleien entwickelte sich unser täglicher Stockkampf-Wettbewerb, den wir veranstalteten, um die Zeit zwischen den Tierbeobachtungen – nachmittags hielten die Wildtiere Siesta – nicht zu lange werden zu lassen. Die drei Italiener gegen Ken, Michael und mich. Zwei Gruppen, jede in einem Mokoro, jeder bewaffnet mit einem der langen Stöcke, so standen wir uns im brusthohen Wasser des Überschwemmungsgebietes gegenüber. Erst Mokoro gegen Mokoro, dann Mann gegen Mann (oder natürlich Frau) im eigenen Mokoro. Wer sich als letzter im Boot hielt, hatte gewonnen. Schlussendlich saßen wir alle pitschnass und glücklich im badewannenwarmen Braungrün des
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