Afrika, Meine Passion
nichts mehr nach, sondern genieße nur den Moment. Ich glaube, unsere erste Begegnung hätte nicht schöner sein können. Als ich erfahre, dass mein Vater noch den ganzen Abend mit uns verbringen will, freue ich mich noch mehr.
Wir hocken nun alle am Kamin um ein Feuer und warten auf das Abendessen. Lketinga sitzt zwischen seiner Tochter und mir. Ab und zu nimmt er ihre Hand oder legt den Arm um ihre Schulter, schaut sie an und sagt kurz: »Yes, my child!«
Natürlich ist es für beide nicht einfach, sofort Gesprächsstoff zu finden, nachdem sie sich fast zwanzig Jahre nicht gesehen haben. Zudem sind sich Vater und Tochter offensichtlich in ihrem zurückhaltenden Wesen sehr ähnlich.
Ein Freund von James, den ich noch aus meiner Barsaloi-Zeit kenne, ist ebenfalls da. Er arbeitet in Maralal in der Verwaltung, besitzt ein kleines Auto und hat Lketinga zur Lodge gefahren. Langsam entspannt uns das knisternde Kaminfeuer. Lketinga zündet sich mit seinen langen, schlanken Fingern eine Zigarette an und erzählt lachend: »Yes, ich warte schon drei Tage hier in Maralal auf euch. Ich möchte mein Kind nach Barsaloi bringen. Ich möchte ihr alles zeigen. Why not, ich bin der Vater.« Dann umarmt er sie erneut und drückt sie herzlich. Napirai lacht und ich merke, dass es ihr sehr gut tut, wenn er so spontan und offen reagiert.
Beim Abendessen sitzt er mir gegenüber und natürlich muss seine Tochter wieder neben ihm Platz nehmen. Er sieht besser aus als 2004, als ich ihn nach 14 Jahren zum ersten Mal wiedergesehen habe. Heute wirkt er ruhiger und auch gelassener. Er lacht über die vielen Bestecke, die um den Teller versammelt sind, und ist neugierig, was wir essen werden. Napirai schaut ihn hin und wieder von der Seite an. James und sein Freund erzählen Geschichten von früher, als sie mich im Spital besuchten, nachdem ich mit Napirai zum wiederholten Mal mit schwerster Malaria eingeliefert worden war. Als ich zu meinem Ex-Mann blicke, merke ich, wie er direkt in meine Augen schaut. Der Blick ist so intensiv, dass ich fast körperlich spüre, wie er versucht, zu meiner Seele vorzudringen. Es berührt mich beinahe unangenehm und ich unterbreche den Blickkontakt, wünschte mir aber gleichzeitig, erfahren zu können, was in ihm vorgeht. Als ich ihn frage, schüttelt er nur stumm den Kopf.
Ich bin froh, dass Lketinga schon heute bei uns ist und das erste Zusammentreffen nicht wie geplant in Barsaloi stattfindet. Er hat wieder eine Familie mit seiner neuen jungen Frau gegründet, und sie haben, wie ich erfahre, bereits drei Kinder. Vor sechs Jahren hatte er das junge Mädchen gerade einen Monat vor meinem Besuch geheiratet. Trotz ihrer Heirat hatten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal miteinander gesprochen, was bei den Samburu nicht ungewöhnlich ist, weil die Mädchen von den Eltern verheiratet werden. Sie sind meist sehr scheu, da sie von weit her kommen und die eigene Familie sehr jung verlassen müssen. Viele sehen ihre Eltern nie wieder. Nach der Heirat gehören sie zur Familie des Ehemannes, dafür hat er ja auch einen stolzen Preis zu bezahlen. Ich hatte bei meinem letzten Besuch das Mädchen nur zwei, drei Mal gesehen, aber nicht gesprochen, weil Lketinga das nicht wollte. Nun bin ich gespannt, wie sie sich verändert hat, nachdem sie stolze Mama von drei Kindern ist.
Es freut mich sehr, dass Lketinga mit seiner dritten Frau anscheinend glücklich ist. Seine zweite Frau, Mama Shankayon, ist schon lange nicht mehr bei ihm. Sie wurde nach Hause geschickt, weil sie nur ein Kind bekommen konnte. Nun lebt sie wieder bei ihrer eigenen Mutter, die erblindet ist, und hilft ihr. Morgen werden wir sie in Maralal treffen. Sie möchte uns unbedingt begrüßen, und ihre 14-jährige Tochter Shankayon, Napirais Halbschwester, möchte die Zeit mit uns in Barsaloi verbringen, wie wir von Lketinga erfahren. Es ist schön, dass er sie informiert hat, obwohl das in dieser Gegend sicherlich mit viel Aufwand verbunden ist.
Nachdem ich ihn häufiger fotografiert habe, schaut er mich amüsiert an und fragt: »Warum machst du immer Fotos? Ich bin jetzt ein alter Mann und nicht mehr so schön wie früher.« Nach wie vor jedoch faszinieren mich seine graziösen Bewegungen mit den schlanken Händen. Auch isst er sehr langsam und erstaunlich wenig. Nichts erinnert mehr an den jungen Krieger, der in einer Nacht eine halbe Ziege verschlingen konnte, wobei einem die Knochen um die Ohren flogen.
Er dagegen scheint an mir die gegenteilige
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