Afrika Quer (German Edition)
weiter. Bis er nach anderthalb Stunden offenbar wieder eine längere Reparatur einschob, und wir ihn endlich loshatten.
Um halb vier Uhr nachts erreichten wir die Stadtgrenze von N’Djamena. Der Lkw-Fahrer hielt an, legte wieder einmal eine Decke neben das Auto und machte Anstalten, sich schlafen zu legen.
Wie bitte?!? Er hatte gesagt, wir würden es noch am selben Tag bis nach N’Djamena schaffen. Ich wollte nicht schon wieder im Freien übernachten. Genau deshalb war ich doch auf seinen Laster umgestiegen.
Aber er blieb hartnäckig. Nachts wollte er auf keinen Fall in die Stadt fahren. Dann entdeckten mich auch noch zwei Polizisten, die mich freundlich nötigen wollten, in ihrer nahegelegenen Wache zu übernachten. Das wollte ich aber auf keinen Fall. Ich wollte sie nicht in Versuchung führen.
Und dann endlich am Morgen war ich zum ersten Mal seit fast zwei Wochen wieder in einem richtigen Hotel. Fließend Wasser, eine Toilette und ein Spiegel können wunderbare Dinge sein.
Nimm mich mit (N'Djamena)
Endlich war ich wieder in dem Afrika, das ich kannte. Moursal liegt in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena, aber mich erinnerte das Viertel sofort an den Kongo. Aus seinen vielen Bars plärrte die überdrehte Ndombolo-Musik. Es gab wieder Bier. An jeder Ecke war eine charismatische Freikirche, aus denen zu den unmöglichsten Tageszeiten laute, aufpeitschende Predigten dröhnten. Und selbst nachts spazierten fliegende Händler durch seine Straßen.
Außer Burkina Faso, in dem eine einzige ethnische Gruppe die dominierende Stellung einnimmt, und dem Senegal, der seine Händel mit dem nördlichen Nachbarn Mauretanien ausmacht, hat jedes Land der Sahelzone einen Nord-Süd-Konflikt zwischen Muslimen und Christen.
Im Tschad ist er nicht viel weniger ausgeprägt als im Sudan. Aber hier sind die Nordler klug genug, den Südlern nicht ihren Lebensstil aufzudrängen. Das würde die ohnehin fragile Macht der Regierung nur unnötig in Gefahr bringen.
Bis Mitte der siebziger Jahre waren im Tschad nämlich die Südler an der Macht. Dann zogen verschiedene marodierende Fraktionen der ursprünglich von Libyen geförderten Rebellenbewegung FROLINAT durch die Hauptstadt. Heute machen die sich genügend Konkurrenz, um die Regierung sich ihrer Macht nicht völlig sicher sein zu lassen.
Deshalb gibt es im Tschad ein Nebeneinander der Kulturen. In N’Djamena sieht man Männer mit fließenden weißen Gewändern und Turbanen, mit den sie auch ihren Mund verschleiern, neben Leuten in westlicher Kleidung. Die Innenstadt prägt ein großer, von Saudi Arabien finanzierter Markt und die angeblich größte Moschee Afrikas, aber an N’Djamenas Peripherie gibt es solche Viertel wie Paris-Congo oder Moursal.
In Moursal saß ich nun erstmals seit mehr als sechs Wochen wieder in einer Bar und trank Bier. Das war für mich eine Befreiung. Ich fühlte mich, als hatte man mir eine schwere Last von den Schultern genommen. Ich musste mich nicht mehr ständig fragen, ob ich das eigentlich durfte, was ich gerade tat.
Außerdem war mir, wenn wir in den vergangenen Wochen draußen übernachteten, vor allem das erste Gebet des Tages an die Nieren gegangen. Die Gläubigen standen noch vor Sonnenaufgang auf und wuschen sich. Das Geplätscher des Wassers weckte mich, und das harmlose Geräusch verband sich für mich mit dem, was bald darauf folgte. Bei diesen Morgengebeten habe ich zum ersten Mal verstanden, warum man „Islam“ mit Unterwerfung vor Gott übersetzen muss.
Immer wieder wiederholten die Gläubigen inbrünstig die Formel „Gott ist am größten“. Ihn beschworen sie, ihnen für den kommenden Tag seine Gunst zu schenken. „Allaaaaaaah!“ Ihre Stimmen klangen bei diesen Gebeten so flehend und weinerlich, und die Formeln wurden so angestrengt, so tief mit dem Kopf am Boden gesprochen und unter Seufzern und lautem Atmen, dass ich mich auf meinem Lager wälzte und hoffte, dass es bald vorbei ist.
Das Morgengebet war eine alltägliche Handlung, aber mir erschien es so intim wie Sex. Es war schwer für mich, dabei zu sein.
Deshalb erlebte ich jetzt diese Euphorie in Moursal. Ich war wie eine verdorrte Pflanze, die seit langem erstmals wieder gegossen wurde. Nur so kann ich mir erklären, dass ich die Zügel etwas schießen ließ und alle Warnsignale übersah.
Ich saß also auf der Terrasse dieser Bar in Moursal und sah einen Jungen einzelne Zigaretten verkaufen. Sofort dachte ich, dass es eine brillante Idee wäre, eines dieser
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