Afrika Quer (German Edition)
Kinder zu porträtieren, die herumliefen und Süßigkeiten oder anderen Schnickschnack verkauften. In ihrer Geschichte steckte alles drin: das durchwursteln schon von früher Kindheit, die Mühsal, das frühe Erwachsenwerden. Sie waren einfach typisch, richtiges Afrika.
Ich beschloss, in Ruhe auf den nächsten Jungen zu warten. Ich erinnere mich, dass ich in diesem Moment so von meiner Idee begeistert war, dass ich mir gratulierte. Nur warum? Diese jungen Händler sind nun wirklich nichts besonderes. Es gibt sie eigentlich in jeder afrikanischen Stadt.
Der nächste Junge trug ein Holztablett mit Papiertaschentüchern. Ihn sprach ich an. Aber bald sollte ich mir wünschen, dass ich das lieber nicht getan hätte.
Er hieß Toussaint Mbaitobam und war zwölf Jahre alt. Seit drei Jahren verkaufte er abends Taschentücher in den Bars von Moursal. „Von dem Geld kaufe ich Kugelschreiber und Schulhefte“, erzählte er und schrieb eifrig mit dem Finger in die Luft. Seine Mutter lebte in Kamerun, von N’Djamena allerdings nur über den Schari-Fluss, und er schien Französisch zu sprechen.
„Ja, selbstverständlich“, sagte er ohne zu zögern. „Ich gehe jetzt?“ Da wäre noch Zeit gewesen, ihn gehen zu lassen. Aber ich sagte, nein, warte noch, und erklärte ihm, dass ich gerne mehr über ihn wissen will, weil ich Journalist bin und ihn gerne porträtieren möchte.
Ich schlug ihm vor, ihn am nächsten Abend bei seiner Arbeit zu begleiten. Aber davor mussten wir erst zu seinem Vater gehen. Seine Mutter war ja nicht in N’Djamena, und er war doch erst zwölf Jahre alt. Deshalb brauchten wir die Erlaubnis seines Vaters.
Er saß neben mir und schien sein Glück nicht begreifen zu können. Er rollte mit den Augen, seine Augenlider flatterten, und auf seinem runden, feisten Gesicht erstrahlte ein Glanz von überirdischem Glück. Er kam mir vor wie eine alte Jungfer, um die nach jahrzehntelangem Warten endlich gefreit wurde. Das hätte mich schon misstrauisch machen müssen. Wieso löste die Aussicht, porträtiert zu werden, eine solche Euphorie bei ihm aus?
Wir verabredeten uns für den nächsten Abend. Er versicherte sich dreimal, dass wir über denselben Treffpunkt sprachen. Trotzdem wich er nun nicht mehr von meiner Seite. Ich sagte ein paar Mal, er könne jetzt gehen, also bis morgen dann. Aber er schien zu zögern, ob es klug war, sein Glück, jetzt nachdem er es gerade erst gefunden hatte, schon wieder aus den Augen zu lassen.
Am nächsten Abend kam er gleich eine halbe Stunde zu spät. Er trug dasselbe rosafarbene T-Shirt mit dem Konterfei Beethovens, eine graue Hose und Flipflops an den nackten Füßen. Mit seinen 1,75 m war er viel zu groß für seine zwölf Jahre, ein plumpes, in die Höhe geschossenes Kind, dessen Verstand nicht mit seinem expandierenden Körper standgehalten hat.
Toussaint sprach jetzt auch kein Französisch mehr. Nur gerade soviel, um zu erklären, dass er bis fünf Uhr morgens Papiertaschentücher verkauft, um die Schule zu bezahlen.
Wirklich bis fünf? „Na ja, manchmal auch nur bis drei Uhr“, sagte er gönnerhaft.
Aber wenn ich ihm andere Fragen stellte, verstand er mich nicht oder wollte mich nicht verstehen, stammelte kurz herum und ließ es dann dabei bewenden. Na gut, dann musste ich eben einen Übersetzer mitbringen, wenn ich Toussaint interviewen wollte. Dadurch wurde alles schwieriger, aber nicht unmöglich, und so machten wir uns auf den Weg zu der nahegelegenen katholischen Kirche, bei der sein Vater als Nachtwächter arbeitete.
Wir stolperten langsam durch den lauen Abend. Aus heiterem Himmel fragte mich Toussaint: „Und wann werden wir abreisen?“ Wenn er wollte, konnte er sich schon verständlich machen, aber er wollte nicht immer.
Abreisen? Ich war überrascht. Wohin denn?
„Na, du nimmst mich doch mit nach Deutschland.“
Ich fiel aus allen Wolken. Wie kam er denn darauf? Sicher war es ein Missverständnis. Dass Toussaint nur Französisch radebrechte, wenn er wollte, fing schon an, mir auf die Nerven zu gehen. Aber es lag sicher auch an seinem schlechten Französisch, dass er mich falsch verstanden hatte.
Deshalb erklärte ich ihm jetzt langsam aber bestimmt, dass ich ihn nirgendhin mitnehmen werde.
Darauf er triumphierend: „Aber warum gehen wir dann zu meinem Vater!“ - so als müsse der Fehler bei mir liegen.
Junger Mann, weil du erst zwölf bist, antwortete ich ihm, und weil ich deinen Vater um Erlaubnis bitten muss, ein Porträt über dich zu
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